Kulturverein ATIB zu Erdbebenkatastrophe: "Es ist alles sehr schlimm!"

Aktualisiert am 14. Februar 2023 | 09:20
Lesezeit: 4 Min
Erdbeben Türkei
Foto: Bundesheer
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Tausende Todesopfer haben die Erdbeben in Südostanatolien gefordert. Die NÖN sprachen mit Vertretern des türkischen Kulturvereins ATIB Amstetten über die Katastrophe.

„Es ist alles sehr schlimm. Betroffen ist eine Fläche mit 25 Millionen Einwohnern, die drei Mal so groß ist wie Österreich. Die Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die Menschen haben keinen Strom, keinen Kanal und kein Wasser“, sagt Yüksel Eroglu, Obmann von ATIB Amstetten. Die Opferzahl beträgt mittlerweile bereits über 35.000.

Einer seiner Arbeitskollegen ist nach Hause geflogen, da das Haus seiner Familie eingestürzt ist und Familienmitglieder verschüttet wurden. Mitglieder des Kulturvereins oder deren Verwandte und Bekannte sind zum Glück aber nicht betroffen, da die meisten aus der mittleren Türkei stammen. Auch dort waren die Beben leicht zu spüren. In Eroglus Haus in der Hauptstadt Ankara hat die Lampe gewackelt, hat man ihm erzählt.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Türkei von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht wird. Im August 1999 kamen beim Erdbeben von Gölcük am Marmarameer 17.480 Menschen ums Leben. Ab 1999 wurden vom Staat Maßnahmen erlassen, um Bauten erdbebensicherer zu machen.

Dennoch sind auch viele neue Häuser eingestürzt, wie Eroglu berichtet. „Viele Gebäude haben im Erdgeschoss Geschäfte, deren Fläche vergrößert wird, indem die Stützblöcke entfernt werden“, sagt er. Um die Gewinnmarge zu erhöhen, werde manchmal am Baumaterial gespart.

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Betroffenheit beim ATIB Amstetten über die Erdbebenkatastrophe in der Türkei (von links): Obmann- Stellvertreter Serkan Aydin, Obmann Yüksel Eroglu und Schriftführer Yusuf Eroglu.
Foto: Lettner

Großer Zusammenhalt in der türkischen Bevölkerung

Sein Sohn Yusuf Eroglu, der Schriftführer bei ATIB Amstetten ist, ist trotz der katastrophalen Zustände zuversichtlich. „Die Türkei hat, was Erdbeben betrifft, sehr viel Erfahrung. Der Staat baut Wohnungen und Gebäude für die Betroffenen schnell und kostenlos wieder auf“, sagt er. Auch der Zusammenhalt in der Bevölkerung sei vorbildlich. Den Erdbebenopfern würden Zimmer in Privathäusern und in Hotels zur Verfügung gestellt. Auch Fußballstadien würden geöffnet, um Menschen aufzunehmen. Betroffene Privatleute erhielten eine zinsfreie Förderung.

Baumängel: Mangelnde Ausbildung, wenig Kontrolle

Von großen Unterstützungen, aber auch von Bausünden spricht Deniz Alici, Kinderbetreuerin in Wieselburg mit türkischen Wurzeln: „Es gibt sehr viele Organisationen in Österreich und Europa, die Hilfe leisten. Angesichts von 30.000 Toten, 80.000 Verletzten und vielen zertrümmerten Krankenhäusern könnte die Unterstützung allerdings besser sein“, meint Deniz Alici.

In der Türkei gebe es gewisse Hilfsorganisationen, die die Gelegenheit nutzen, um sich auf Social Media zu präsentieren, anstatt sich um die Betroffenen zu kümmern. „Die Organisationen sollten mit traumatisierenden Bildern vorsichtig umgehen, denn die sehen schließlich auch viele Kinder und Jugendliche auf ihren Smartphones“, kritisiert sie und spricht auch offensichtliche Baumängel an.

Die Regierung müsse dafür sorgen, dass Bauingenieure besser ausgebildet und kontrolliert werden. „In den Social Media erkennt man, dass die Zerstörungen kein Zufall sind. Die Schuld liegt bei den Konstrukteuren und daran, dass billig gebaut wird“, sagt Alici. Wie das türkische Fernsehen berichtet, seien bereits einige Konstrukteure verhaftet worden.

Große Betroffenheit herrscht bei einer kurdischen Familie, die im Bezirk Scheibbs lebt: „Ein Teil meiner Familie wohnt in Afrin in Nordsyrien. Ihr Haus war schon durch den Krieg beschädigt, aber jetzt ist es komplett vernichtet“, sagt er. Die Tante seiner Frau, ihr Onkel und ihr Cousin wurden in den Trümmern verschüttet. In ihrer Straße wurden auch andere Gebäude zerstört und viele Nachbarn getötet. Seine Familie muss jetzt trotz eisiger Kälte auf der Straße leben. Hilfe von den Türken, die das Gebiet erobert haben, gibt es keine. Auch die UNO würde zuerst den türkischen Opfern helfen anstatt den Kurden. Von den Spendengeldern soll die türkische Polizei die Hälfte einkassieren.

Ein anderer Teil seiner Familie wohnt in der 70 Kilometer entfernten Stadt Aleppo. Deren Haus ist teilweise zerstört. Den Familienmitgliedern in Afrin zu helfen, sei nicht möglich, da die Türkei die Grenze zum Kurdengebiet zugemacht hat. „Ich habe in den letzten Tagen sehr viel geweint, aber ich kann leider nichts machen“, sagt er. Zurück in seine Heimat zu gehen, kommt für ihn nicht infrage. In Afrin würden ihn die Türken sofort umbringen. In Aleppo würde er von den Syrern sofort als Soldat einberufen werden.

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