Michaela Hinterholzer im Interview: „Ich laufe nicht davon“

NÖN: Mit einigem zeitlichen Abstand: Haben Sie das Wahlergebnis und die Konsequenzen inzwischen verarbeitet?
Michaela Hinterholzer: Ja, ich habe einiges analysiert und mich mit der neuen Situation auseinandergesetzt. Wobei es vor allem darum ging, zwei Schockerlebnisse bei dieser Wahl aufzuarbeiten. Das erste war das ÖVP-Ergebnis in meiner Heimatgemeinde Oed-Oehling, wo wir rund ein Viertel der Stimmen verloren haben. Ich habe anfangs gedacht, dass wir uns verzählt haben. Dann habe ich aber gesehen, dass es in allen Gemeinden des Bezirks hohe Verluste gab. Diese Wählerentscheidung muss man zur Kenntnis nehmen, aber sie stimmt mich nachdenklich.
Inwiefern?
Hinterholzer: Offensichtlich haben die vielen Projektarbeiten, die wir mit großer Unterstützung des Landes in die Wege geleitet und verwirklicht haben, für die Leute nicht so hohe Priorität. Mir ist es immer wichtig gewesen, im politischen Handeln nicht nur zu reden, sondern auch umzusetzen. Ich verspreche nur, was ich in meinem Wirkungsbereich auch halten kann. Umso weniger verstehe ich daher die Zugewinne der FPÖ, die nur versucht hat, die Menschen negativ zu emotionalisieren und keine konstruktiven Lösungen anbietet. Denn die Asylfrage zum Beispiel kann Niederösterreich nicht lösen und auch bei der Teuerung kann das Land nur in eingeschränktem Maße etwas tun.
Wie weit hat aus Ihrer Sicht Corona zu den Verlusten der ÖVP beigetragen?
Hinterholzer: Ich denke, dass uns Corona und die Impfpflicht das zweite Mandat im Bezirk gekostet haben. Das Thema hatten wir nicht so intensiv am Radar, vor allem weil beinahe alle Maßnahmen inzwischen gelockert wurden.
Sie haben von zwei Schockerlebnissen gesprochen. Das zweite war vermutlich das Vorzugsstimmenergebnis?
Hinterholzer: Ja, das war wirklich hart. Man sieht, dass der Bauernbund im Wahlkampf zusammengerückt ist und an einem Strang gezogen hat. Bei den letzten Wahlen hatten sie im Bezirk immer zwei Kandidaten, die in ihrer Klientel intensiv um Vorzugsstimmen geworben haben. Diesmal sind alle für einen Kandidaten gelaufen und die Landesorganisation hat ihn auch massiv unterstützt. Das war bei mir und beim Wirtschaftsbund leider nicht ganz der Fall. Ich wurde zwar mit Werbemitteln unterstützt, doch in der Intensivphase des Wahlkampfs war niemand von der Landesebene bei uns im Bezirk zur Unterstützung anwesend. Außerdem hat sich der Wirtschaftsbund zuletzt bei der Vergabe der Landeslistenmandate auch nicht für mich stark gemacht. Daher werde ich als erste Konsequenz in den nächsten Tagen meine Funktion als Wirtschaftsbundobfrau des Bezirks Amstetten zurücklegen.
Sie haben im Vergleich zu 2018 viele Vorzugsstimmen verloren. Gibt’s dafür aus Ihrer Sicht spezielle Gründe?
Hinterholzer: Man muss sehen, dass generell weniger Vorzugsstimmen vergeben wurden. Unterm Strich haben mir 4.363 Menschen ihre persönliche Stimme gegeben. Das sind die viertmeisten Stimmen für einen Bezirkskandidaten in ganz Niederösterreich und damit in Wahrheit ein enormer Vertrauensbeweis. Ich bedanke mich bei allen, die mir ihr Vertrauen geschenkt haben. Einer der Gründe für den Rückgang meiner Vorzugsstimmen war sicherlich die Verlegung der Neurologie vom Landesklinikum Mauer nach Amstetten und Melk. Auf dieses Thema wurde ich sehr oft angesprochen. Meine Antwort war immer, dass es nicht meine Idee war und ich nicht in diese Entscheidung eingebunden war. Als Landtagsabgeordnete hatte ich leider keinen Einfluss darauf, da es kein Beschluss des Landtags, sondern der Landesregierung war. Auch habe ich damals bei den Verantwortlichen heftigst protestiert und meinen Unmut lautstark deponiert, aber mir wurde gesagt, dass es kein Zurück mehr gäbe. Deshalb habe ich mich darauf konzentriert, den Standort Mauer mit dem Bildungscampus, der Fachhochschule und mit der Landesausstellung aufzuwerten.
Wie geht es Ihnen als Frau, wenn Sie das neue Landtagsteam der ÖVP betrachten? Die Frauenquote ist mit nur zwei Mandatarinnen verheerend.
Hinterholzer: Das sehe ich sehr kritisch. Diese Entwicklung ist leider eine Konsequenz aus dem Vorzugsstimmenmodell der ÖVP. Es ist höchste Zeit, dieses System zu überdenken. Denn wir richten dadurch bei Wahlkämpfen den Blick vor allem nach innen und nicht nach außen. Parteifreunde, mit denen man immer gut zusammengearbeitet hat, werden plötzlich zu größten Konkurrenten. Statt miteinander für die Menschen da zu sein, fördert es ein Gegeneinander. Das ist falsch! Dazu kam, dass dieser Wahlkampf so dreckig geführt wurde wie nie zuvor. Plakate wurden systematisch übermalt und beschmiert und es gab auch anonyme Schreiben mit schlimmen und persönlich untergriffigen Verleumdungen.
War es eine falsche Entscheidung, nochmals zu kandidieren?
Hinterholzer: Ich habe im Sommer lange überlegt, mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht und auch ein Gespräch mit der Landeshauptfrau darüber geführt. Die Zusage für die Landesausstellung hat mich letztendlich zur Kandidatur motiviert. Denn ich bin davon überzeugt, dass die Landesausstellung dem Klinikum Mauer eine gute Perspektive bietet und es wichtig ist, dass die Gebäude saniert werden. Würde ich mit meinem heutigen Wissen nochmals so entscheiden? Eher nicht. Ich war 25 Jahre Landtagsabgeordnete und habe dieser Aufgabe alles untergeordnet: meine Firma, meine Freunde und auch meine Familie, die Gott sei Dank immer viel Verständnis hatte. Aber ich bereue nichts, denn wer mich kennt, der weiß, dass ich alles mit viel Leidenschaft, Emotion und Herzblut mache und immer 100 Prozent gebe.
Die ÖVP hat immer als ihr großes Plus herausgestrichen, ihr Ohr nahe bei den Leuten zu haben. Diesmal war das offenbar nicht der Fall. Was muss die Partei tun, um die Wähler und Wählerinnen zurückzugewinnen?
Hinterholzer: Ich habe bei den Gesprächen im Wahlkampf schon gemerkt, dass es diesmal deutlich mehr kritische Stimmen gab. Aber dass in manchen Gemeinden jeder dritte die FPÖ wählt, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht. Dieses Erstarken der Freiheitlichen und vor allem manche Aussagen machen mich sehr nachdenklich. Aber ja, die ÖVP muss sensibler werden, wenn es um die Entwicklung unserer Gesellschaft geht. Corona hat viele Menschen verändert. Viele sind egoistischer, kompromissloser, kritischer und emotionaler geworden. Wahrscheinlich sollte unser Credo künftig lauten: weniger Projektarbeit, mehr zuhören.
Wie geht es für Sie persönlich weiter. Es kursierten in den letzten Tagen schon Gerüchte, Sie könnten auch als Bürgermeisterin zurücktreten?
Hinterholzer: Ich werde meine Funktionen als Bürgermeisterin und Obfrau der LEADER-Region Moststraße weiter ausüben und auch ehrenamtliche Präsidentin des NÖ Hilfswerks bleiben, denn da wurde ich ja erst im Herbst wiedergewählt. Ich bin keine, die alles stehen und liegen lässt und einfach davonläuft, denn dafür habe ich zu viel Verantwortungsbewusstsein. Für die Landesausstellung werde ich mich als LEADER-Obfrau natürlich weiter engagieren und mich wieder stärker in unseren Familienbetrieb einbringen. Da gibt es genug zu tun. Mir wird also auch ohne Landtag ganz sicher nicht langweilig.