Berfin Getiren: „Die Überlebenden des Erdbebens haben keine Hoffnung“

Die 26-jährige Berfin Getıren aus Bursa, Türkei, hat fünf Jahre in dem Gebiet gewohnt, wo vor einigen Wochen das Erdbeben stattgefunden hat. Seit sechs Monaten lebt sie in Österreich und lehrt seit September in der Montessorischule Amstetten die Schüler und Schülerinnen Englisch. Die NÖN fragt nach ihrem Befinden und ihren Hilfsaktionen für die Opfer des Erdbebens in der Türkei und Syrien.
NÖN: Wie geht es Ihnen und wie erleben Sie die Folgen des Erdbebens?
Berfin Getiren: Ehrlich gesagt, kann ich gar nicht beschreiben, wie es mir geht. In der Region, wo das Erdbeben stattgefunden hat, habe ich gelebt und geliebt. Jetzt ist alles kaputt. Zehn Städte sind komplett zerstört. Ich hatte Verwandte und viele Freunde dort, die es jetzt nicht mehr gibt. Deshalb kann ich die Frage gar nicht beantworten. Das Erdbeben ist wohl das schlimmste des Jahrhunderts und das, obwohl die Türkei schon viele große Erdbeben verkraften hat müssen, und Erfahrungen damit hat. Das war nicht einfach nur ein Erdbeben. Es beinhaltet die Tatsache, dass Menschen tagelang unter den Trümmern zurückgelassen wurden und um Hilfe gebeten hatten, aber vor Kälte und Hunger sterben mussten, und es beinhaltet die Hilflosigkeit der Personen, die auf Hilfe warten mussten. Manche Personen, die das Erdbeben überlebt haben, bekamen kein Essen und keine warme Unterkunft oder Schlafmöglichkeit. Es wurden soziale Medien gesperrt, die Auskunft über den Ort von vermissten Personen hätten geben können.
Wie ist die Situation nach dem schrecklichen Erdbeben vor Ort?
Berfin Getiren: Es ist eine Gegend, in der die Leute heute noch schreien, dass sie keinen Tropfen Wasser haben. Die Überlebenden sagen, es täte weh, so auf die Hilfe angewiesen zu sein, und wünschen sich Solidarität. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie es ist, an dem einen Tag nicht zu wissen, ob Verwandte beim Erdbeben gestorben sind, und am nächsten Tag nicht zu wissen, wie man sie begraben soll. Tausende Tote wurden nicht gefunden. Tausende von Menschen konnten nicht identifiziert werden. Die Überlebenden haben keine Hoffnung mehr für die Zukunft, da sie so viele Freunde und Bekannte beim Erdbeben verloren haben. Tausende Menschen sind nun ohne Zuhause. Sie können sich nicht vorstellen, wie das beispielsweise für ältere Menschen ist, die ihr Dorf noch nie in ihrem Leben verlassen haben. Ich trauere um alle Menschen. Meine einzige Hoffnung ist, dass diese schönen Städte wieder aufgebaut werden und die Menschen in ihre Heimat zurückkehren können.
Seit wann unterstützen Sie die Mostviertler Montessorischule in Amstetten?
Berfin Getiren: Seit September helfe ich der Montessorischule. Ich habe meinen Abschluss an der Mersin Universität der Fakultät für Architektur, Abteilung für Stadt- und Regionalplanung, aber ich habe ebenso Erfahrungen im Unterrichten von Sprachen, wie Englisch. Ich werde die Schule bis Juli unterstützen. Es ist sehr unklar, was ich danach tun werde. Ich habe mich in die österreichische Natur, die Menschen, die Kultur und den Wert, den sie den Menschen gibt, verliebt. Ich fühle mich wertvoll in diesem Land. In der Türkei hat eine Frau keine Sicherheit. Ich würde gerne hierbleiben und wäre froh, in Österreich eine Arbeit zu finden.
Wie sieht die Unterstützung aus?
Berfin Getiren: Die Unterstützung der Menschen macht mich sehr emotional und sehr glücklich. Die Lehrer, Eltern, Schüler und Schülerinnen meiner Schule versuchen, etwas für Menschen zu tun, die sie nie getroffen haben. Das ist sehr wertvoll für mich. Das Hauptbedürfnis der Menschen sind Schutz und gesunde Nahrungsmittel. Bis jetzt haben wir eine Aktion mit Buntstiften für Kinder, kleine Spielsachen, Pralinen und eine Bargeldsammelaktion für Familien organisiert. Ich war bereits direkt vor Ort und habe die Menschen vorrangig mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und mittels Geld unterstützt. Ich habe auch kleine Geschenke für Kinder vorbereitet, die von den Kindern der Schule mitgebracht wurden. Wir hoffen, der Grund für das Lächeln eines Kindes zu sein.