„Heil und Pflegeanstalt Mauer“: 275 Tote in 77 Gräbern

Erstellt am 08. Mai 2023 | 11:00
Lesezeit: 3 Min
Forschung über den NS-Eutanasie-Friedhof Mauer
Neun Patienten wurden am 18. April im Massengrab 64 auf dem erweiterten Anstaltsfriedhof beerdigt. Foto:
Foto: NOEN, Philipp Mettauer
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Am Donnerstag, 11. Mai, um 18 Uhr, werden im Rathaussaal die Ergebnisse und Geschichten der Recherchen und Nachforschungen rund um die Grabstätten des NS-Euthanasie-Friedhofs Mauer im Rahmen des „Top-Citizen-Science-Projekts“ präsentiert.

„Bei der Aufnahme fügsam, körperlich rein, macht einen idiotischen Eindruck, hat einen Kropf, […] ist nicht auskunftsfähig, stottert beim Sprechen stark, ist nur wenig zu verstehen.“ Das notiert ein Pfleger „Heil- und Pflegeanstalt“ Mauer-Öhling am Tag der Aufnahme am 5. Mai 1944. Der Patient hatte am Aufnahmetag bei einer Körpergröße von 1,49 Metern ein Gewicht von 54,4 Kilogramm. Am 5. März 1945 wird ein Körpergewicht von nur mehr 38 Kilogramm vermerkt. Und im letzten Eintrag am 16. April 1945 heißt es: „Verstorben um 8:10 an Herzmuskelentartung“.

Die bisherigen Forschungsergebnisse zur „Heil- und Pflegeanstalt“ Mauer-Öhling in der NS-Zeit lassen den Schluss zu, dass Johann Fußthaler wie elf weitere Patienten der Männerabteilung, die laut Krankengeschichten auffallend kurz hintereinander verstarben, unter Zuhilfenahme des von Dr. Gelny entwickelten Elektroschock-Apparates ermordet wurde. Die Körpergewichtsangaben am Aufnahmetag und einen Monat vor dem Tod lassen außerdem darauf schließen, dass man zunächst durch Nahrungsentzug, also absichtliches Verhungern-Lassen, den Tod herbeiführen wollte oder zumindest in Kauf genommen hat. Johann Fußthaler wurde am 18. April 1945, zwei Tage nach seinem Tod, gemeinsam mit acht anderen Patienten im Massengrab mit der Nummer 64 am erweiterten Anstaltsfriedhof beerdigt.

Insgesamt starben von März 1938 bis Mai 1945 1.365 Patientinnen und Patienten in Mauer Öhling, auf dem erweiterten Teil des Anstaltsfriedhofs wurden in der „Endphase“ insgesamt 275 Tote in 77 Gräbern beerdigt.

Mehr über die vergessenen und verdrängten Toten in den Gräbern des NS-„Euthanasie“-Friedhofs können Interessierte am Donnerstag, 11. Mai, um 18 Uhr im Amstettner Rathaussaal erfahren. Nachkommen von Opfern, ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesklinikums Mauer, Studierende und Regionalhistorikerinnen und Regionalhistoriker recherchierten im Rahmen eines Top Citizen Science-Projekts (2019/20) ausgewählte Biografien und Schicksale der dort beerdigten Patientinnen und Patienten. Ein Schwerpunkt wurde dabei auf die Toten im Grab 64 gelegt.

Nach einer zweimaligen Absage aufgrund der Covid-19-Pandemie können die Forschungsergebnisse endlich öffentlich präsentiert werden.

Programm:

  • Martha Keil, Christian Korbel: Begrüßung
  • Tina Frischmann: Über das Projekt
  • Philipp Mettauer: 275 Tote in 79 Gräbern
  • Gerhard Schmid: Die Person hinter den Fakten – Stefan Griesauer (1892-1945)
  • Tanja Wünsche: Heinrich Rennebom – Die „Aktion Brandt“ in Mauer-Öhling
  • Johann Dorfmeister: Karl Wegerer. Ein Opfer der NS-Euthanasie
  • Martin Fuchs: Johann Mayerhofer – Verloren, aber nicht vergessen.
  • Anna Kastner: So kann erinnern gelingen – Von der Ahnungslosigkeit zum persönlichen Engagement
  • Karin Steiner: Malvine Kardos – Nachzeichnung eines lebenswerten Menschen
  • Gerhard Ziskovsky: Die Kreisaltersheime und die „Euthanasie“-Anstalt Mauer-Öhling

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