Der Blick von Traiskirchen geht in Richtung Ukraine

Erstellt am 04. Juni 2023 | 06:30
Lesezeit: 5 Min
Ukrainische Geflüchtete bei Ciperle
Christine, Katya, Valik, Ihor und Norber im Garten vor und auf dem Hochbeet, das in den ukrainischen Nationalfarben bemalt ist.
Foto: Judith Jandrinitsch
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Gemeinderat und Tchoukball-Trainer Norbert Ciperle beherbergt mit seiner Frau seit über einem Jahr Katya, Valik und Ihor in seinem zuhause. So wohl sich die Klavierlehrerin und ihre beiden Söhne auch hier fühlen - ihr Herz und ihre Gedanken sind in Kiew geblieben.

Denn dort lebt Katyas Mann Jaroslav mit den Gefahren des Krieges, als wären diese das normalste auf der Welt. Drohnen, die in der Nacht kommen und von seinem Fenster auf und ab tanzen, versetzten ihren Ehemann nicht mehr in Angst und Schrecken. Statt dessen filmt er die Kriegsroboter und schickt die Aufnahmen seiner Frau. Diese sitzt in Norbert Ciperles Küche und schüttelt darüber den Kopf. Aufnahmen wie diese sind für sie der Grund, warum sie mit dem sechsjährigen Ihor und dem siebzehnjährigen Valik nicht zurück nach Kyiev gehen will. „Hier in Traiskirchen ist nichts, aber gar nichts. Kein Lärm, kein Krieg, keine Gewalt. Wenn wir jetzt zurückgehen, dann ist das für Ihor ein Trauma“, sagt Katya auf Englisch.

Ihor hingegen ist stolz darauf, seine Dinosaurier herzuzeigen. Er spricht frei von der Leber weg auf Deutsch. So, als hätte er diese Sprache nicht erst im Kindergarten in Möllersdorf gelernt. „Er hat überhaupt keine Berührungsängste, was die Sprache anbelangt. Das macht natürlich der Kindergarten. Und er denkt nicht viel nach, er redet ganz einfach“, sagt Norbert Ciperle. Für Katya hat alles ukrainische eine neue Bedeutung bekommen. Ihre Herkunft, ihre Sprache, der Krieg gegen die Ukraine habe nicht erst seit mit der Annexion der Krim begonnen. „Ich habe auf der Uni eine Einführung in die ukrainische Geschichte besucht. Seit dem ist mir vieles über den aktuellen Krieg klarer geworden“, erläutert Ciperle. Wenn Katya in Wien unterwegs ist, hört sie oft die russische Sprache. Ihr ist dann nicht klar, ob „das Menschen sind, die aus der Ukraine kommen und sich nicht in ihrer eigenen Sprache reden trauen“.

Informationsaustausch ist für Katya sehr wichtig. Ständig ist sie über Whatsapp und Internet in Kontakt mit Freunden und Bekannten in der Ukraine. Sie ist bestens darüber informiert, welche Truppenbewegungen laut ukrainischen Angaben gerade stattfinden und hofft darauf, dass die russischen Truppen zurückgeschlagen werden. Einen nachhaltigen Plan zu konstruieren, wie das Leben hier in Österreich ablaufen soll, ist unter diesen Umständen nicht möglich. Katya, die in Donezk geboren ist, hat in Kyiv an der internationalen Musikschule Yamaha gearbeitet. Klavierunterricht hat sie vorwiegend Angehörigen von Botschaftsmitarbeitern gegeben, „aber es konnten auch normale Leute aus Kyiv zu uns kommen“, sagt Katya. Im Internet haben sie einige ihrer ehemaligen Schülerinnen und Schüler über Facebook und Instagram entdeckt und sie ersucht, ob sie ihnen nicht online Musikunterricht geben kann. Aktuell unterrichtet sie im World Wide Web einen Schüler in Indien. Ihr Mann Jaroslav stammt aus dem Westen der Ukraine, getroffen haben sich die beiden in Kyiv.

Verdienstgrenzen machen Unterricht unmöglich

Mehr geht aber nicht, denn um die Grundversorgung nicht zu verlieren, darf Katya nicht mehr als 110 Euro im Monat dazuverdienen, pro Kernfamilienmitglied kommen hier 80 Euro dazu. „Das geht sich einfach nicht aus“, sagt auch Norberts Frau Christine Ciperle. Überhaupt sei es für Geflüchtete, egal welcher Nation, ohne einheimische Unterstützung kaum machbar, den Behördendschungel zu meistern. „Ein falscher Buchstabe, und schon wird man blöd sterben gelassen“, weiß Ciperle aus Erfahrung, denn er hat in Traiskirchen Menschen, die Schutz suchen, schon oft seine Tür geöffnet. Darum vertritt er das Motto: „Der Plan A ist, zurück in die Ukraine zu gehen. Der Plan B ist, im Alltag im hier und jetzt selbstbestimmt für die nächsten 100 Jahre zu leben, weil es dann nämlich egal ist, ob der Plan A tatsächlich aufgeht.“

Geht es nach Katya, dann muss Plan A funktionieren. „Wir sind Norbert und Christine wirklich dankbar, dass wir hier bei ihnen wohnen können. Aber unsere Herzen sind in der Ukraine, selbst Ihor, der am besten von uns allen bereits Deutsch spricht, fragt mich jeden Abend, „Mama, wann können wir wieder zurück in die Ukraine gehen?“ Für Valik ist sportliche Ertüchtigung ganz wichtig. Er powert sich beim Tchoukballtraining aus und geht regelmäßig ins Fitnesscenter. Er will zurück nach Kyiev, um im Herbst mit dem Studium zu beginnen und um endlich wieder seine Freundin wiederzusehen. Auch Ihor beginnt im Herbst mit der Schule. Ob in Traiskirchen oder in Kyiev ist noch unklar - angemeldet ist er in beiden Städten.

Warum die Familie Ciperle ihre Herzen und ihr Haus für geflüchtete Ukrainer geöffnet hat, begründet Norbert so: „Da sind einerseits unsere eigene Lebensgeschichten. Christines Großvater und mein Vater waren Kriegsvertriebene. Unsere Lebenssituation macht es uns leicht möglich, Menschen aufzunehmen. Beide haben wir sichere Arbeitsplätze, erwachsene Kinder und ein großes Haus. Mich trägt der Spruch: 'Rettest du nur ein Leben, so rettest du eine ganze Welt'.