Vor 75 Jahren: Rechtlose Zeit voll von Gewalt

Erstellt am 06. Mai 2020 | 04:56
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10 Jahre nach Kriegsende zogen die Besatzungstruppen am 23. Juli 1955 aus Gaming ab. Im Bild links: Bürgermeister Wilhelm Pöchhacker und Bezirkshauptmann Gustav Herrmann (Mitte).
Foto: zVg
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Die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges stürzten auch Bezirk ins Chaos.

Letzte verzweifelte Kampfhandlungen, Gerüchte über bereits anrollende russische Panzer – die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren stürzten auch den Bezirk Scheibbs ins absolute Chaos.

Im Archiv der heutigen Bezirkshauptstadt Scheibbs werden einige Bild- und Schriftdokumente aufbewahrt, die das Kriegsende rund um den 8. Mai 1945 authentisch belegen. Zu diesen zählt auch eine Sonderbeilage des Erlauftal-Boten (ETB) aus dem Jahr 1975. Damals sprach Redakteur Franz Gloser mit dem ersten Bezirkshauptmann nach Kriegsende, Gustav Herrmann, über den 8. Mai 1945: „Um circa 13 Uhr flohen Kreisleiter Schrenk und die Angehörigen der SS-Sicherheitsstelle aus Scheibbs in Richtung Oberösterreich.

Nach 14 Uhr marschierten die ersten russischen Truppen in die Stadt ein. Die Straßen waren menschenleer. Bei Neustift und im Gebiet von Randegg kam es zu kurzen Kampfhandlungen. Doch schon im Laufe des Nachmittags wurde fast der ganze Bezirk von den russischen Truppen besetzt“, erinnerte sich Herrmann im ETB.

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8. Mai 1945: Zerstörte deutsche Tiger-Panzer auf dem Bahnhofsplatz in Scheibbs.
Foto: zVg

Noch in den Abendstunden wurde nach einem Gespräch mit Stadtpfarrer Kloiber und Regierungsrat Schwarz der Industrielle Josef Herrmann gebeten, die Leitung der Stadtgemeinde zu übernehmen. Er war somit der erste neue Bürgermeister im Bezirk. Auf dem Amtsgebäude, der Pfarrkirche und einer Anzahl von Privathäusern wurde die alte rot-weiß-rote österreichische Fahne gehisst. In den folgenden Nachtstunden kam es zu den ersten größeren Plünderungen, zahlreiche Geschäfte wurden aufgebrochen und ausgeräumt.

„Eine Angst wurde von der nächsten abgelöst“

„Eine Angst wurde von der nächsten abgelöst. Die meisten Zivilisten waren erleichtert über das Ende des Krieges, hatten aber große Angst vor den Russen“, sagt Lokalhistoriker Franz Wiesenhofer, der für seine beiden Bücher „Verdrängt, nicht vergessen“ Gespräche mit mehr als 300 Zeitzeugen geführt hat. „Die Russen kamen von der Traisenfront über Oberndorf in den Bezirk. Eine Kampflinie an der Erlauf in der Praterschlucht sei bereits in Vorbereitung gewesen: „Die Schützengräben kann man heute noch sehen. Aber sie wurden nicht mehr gebraucht.“

Am 8. Mai fuhren die ersten russischen Panzer in Oberndorf ein. Während die kläglichen Reste der verbliebenen deutschen Truppen in Oberndorf, St. Georgen an der Leys und Purgstall bereits kapituliert hatten, versuchte die SS in Scheibbs noch mit erbitterter Gegenwehr, ihren Kameraden die Flucht von St. Anton Richtung Gaming abzusichern. „Entlang der Fluchtlinie waren die Straßen mit Flüchtenden und Fahrzeugen verstopft.

Da spielten sich dramatische Szenen ab, es hat noch letzte Kampfhandlungen und Tote gegeben“, schildert Wiesenhofer aus den Berichten seiner Zeitzeugen. „Es war eine rechtlose Zeit. Plünderungen, Vergewaltigungen und Mord waren an der Tagesordnung“, sagt Wiesenhofer. „Aber die Menschen haben mir auch erzählt, dass die Russen die Bewohner der Häuser, wo sie wohnten, beschützten und manchmal ihr Essen mit ihnen teilten.“

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