Sehr geehrte Damen und Herren, liebe österreichische Abgeordnete aller Parteien zum Europaparlament,
Ich schreibe seit 1. Dezember jeden Tag an eine/n österreichische/n Spitzenpolitiker/in einen Brief mit der Bitte sich für die gequälten Kinder, Frauen und Männer einzusetzen, die sich derzeit auf den griechischen Inseln in einer entsetzlichen Lage befinden. Gestern habe ich Amnesty International Österreich adressiert, heute wende ich mich an Sie mit derselben Bitte: bitte, setzen Sie sich für die gequälten Menschen ein, an denen vom Staat Griechenland, aber auch von der europäischen Union, zu der auch der Staat Österreich gehört, extrem grausliche Menschenrechtsverbrechen begangen werden. Sie alle werden die Bilder und Schilderungen kennen. Ich habe sie aus erster Hand, von Doro Blancke, die im Lager hilft, erfahren.
Als Mutter von zwei Kindern und als fühlender, politischer Mensch macht mich das Schicksal der tausenden Entrechteten an den EU-Außengrenzen ganz krank! Es ist jetzt Winter und die Menschen haben nicht einmal das Allernötigste - und das in der superreichen, den Menschenrechten verpflichteten Europäischen Union, der Friedensnobelpreisträgerin! Ich kann das einfach nicht fassen! Den österreichischen Politiker*innen gegenüber habe ich den Weihnachtsgedanken, die Herbergssuche und die christlichen und humanistischen Werte ins Treffen geführt. An diese Werte-Pfeiler möchte ich Sie ebenfalls erinnern. Als EU-Parlamentsabgeordnete möchte ich Ihnen aber vor allem die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als Regelwerk in Erinnerung rufen, das für uns alle als Grundlage unseres Zusammenlebens, unserer Rechtsstaatlichkeit und unserer Demokratien fungiert. Die Bedingungen, denen die geflüchteten Afghan*innen, Syrer*innen, Iraker*innen, Sudanes*innen, usw. ausgesetzt sind, verstoßen derart gegen die EMRK und gegen die in der EU geregelten gesetzlichen Aufnahmebestimmungen von Flüchtlingen, dass es jetzt in Österreich einen großen Aufschrei gegen diese illegale Behandlung von Schutzsuchenden gibt. Auch wenn diese extremen Missstände schon länger existieren: JETZT ist die Zeit zu handeln. JETZT muss dagegen gemeinsam vorgegangen werden. Sofort.
Ich bitte Sie, setzen Sie sich innerhalb Ihrer Fraktion aber auch im Parlament und der Kommission gegenüber und vor allem in Gesprächen mit der Österreichischen Regierungsspitze sowie öffentlich für eine sofortige Aufnahme der Gefangenen von Kara Tepe ein! Die Bewegung „courage.jetzt“ hat hier in Österreich über 3.000 sichere Plätze ausfindig gemacht, die in der „Landkarte der Menschlichkeit“ sichtbar werden. Neben „courage.jetzt" haben Spitzenvertreter*innen der Kirchen wie z.B. Kardinal Schönborn, Bischof Hermann Glettler, der evangelische Superintendent Matthias Geist, aber auch sehr viele angesehene Personen aus dem öffentlichen Leben (Klaus Maria Brandauer, Martin Grubinger, Cornelius Obonya, Katharina Stemberger, Ferry Mayer, Marc Janko, André Heller, Julyia Rabinovic u.v. mehr) sowie ÖVP-Politiker*innen und gestern sogar der Bundespräsident an die Regierung appelliert, Hilfe „vor Ort in Österreich“ zuzulassen. Denn die Hilfe, die das österreichische Innenministerium nach dem Brand in Moria gesendet hatte, kommt - aus welchen Gründen auch immer nicht ausreichend auf Lesbos/ im Nachfolgecamp Kara Tepe an.
Dieses Weihnachtsfest ist heuer auch auf Grund der Pandemie ein anderes, traurigeres Fest als sonst. Die Schicksale unserer Schwestern und Brüder im Dreck der Lager trüben es aber ganz besonders. Verletzt die unterlassene Hilfeleistung doch nicht nur jeglichen Anstand, sondern auch den Gedanken des Teilens, des füreinander Da seins, der Nächstenliebe bzw. der Solidarität. Sie ist auch illegal und sollte daher unbedingt strafrechtliche Konsequenzen haben.
Für die Zukunft wünsche ich mir nicht nur die sofortige Evakuierung der geschundenen Menschen aus den Drecks- und Rattenlöchern an unserer Peripherie, sondern besonders von Ihnen, liebe EU-Parlamentsabgeordnete, eine „Landkarte der Menschlichkeit“, einen "Wegweiser der Vernunft und des Gemeinwohls" für unsere Staatengemeinschaft sowie für diesen gesamten Globus. Dieser besteht in einem geregelten Zuzug aus wirtschaftlichen Gründen (sowohl für die EU als auch für die Arbeitnehmer*innen/Unternehmer*innen aus anderen Kontinenten, siehe Kanada) als auch und vor allem eine echte und gerechte, für die Betroffenen sichere und rechtsstaatliche Abwicklung der berechtigten Ansuchen auf Asyl aus den in der EMRK und der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (vor allem für Syrer*innen wären Kontingentregelungen richtig und wichtig gewesen). Auch das Botschaftsasyl muss wieder eingeführt werden, und „Dublin" überdacht….
Leider kenne ich persönlich mehrere (und ich weiß von vielen) Asyl-Verfahren, die schlampig geführt und in den Begründungen nicht stichhaltig sowie - in den mir bekannten Fällen ganz besonders - extrem willkürlich und unfair abgelaufen sind. Auch diese menschenunwürdige Behandlung dürfte also System haben (siehe homepage von fairness asyl) ….sowie die absurd grausamen Abschiebungen nach Afghanistan, die gegen Artikel 2 und 3 der EMRK verstoßen, also auch gegen unsere Verfassung. Die Säulen unserer Grundwerte wanken und das europäische Haus muss wieder stabilisiert werden. Dazu werden wir, die Proponent*innen der Zivilgesellschaft, einen großen Beitrag leisten, wir sind aber auch auf die weitsichtigen Handlungen unserer gewählten Vertreter*innen angewiesen und bauen auf Ihre Expertise und Ihr Verantwortungsgefühl der Allgemeinheit gegenüber.
Ludwig Adamovic, der ehemalige Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofs hat in seinem Vermächtnis an uns alle, in seinem Buch „Wo wir stehen“ sowohl die geschichtlichen Hintergründe/ die Ausgangslage als auch die Gegenwart und einen möglichen Weg (in Form einer Utopie!) in die Zukunft beschrieben. Ich verehre Herrn Adamovic sehr und ich hoffe, dass wir seinem Erbe gerecht werden!
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Härte, Eiseskälte und Kaltschnäutzigkeit mit der die verschiedenen ÖVP-Ministerien meine Briefe beantwortet haben und mit der der Herr Bundeskanzler Kurz und der Herr Außenminister Schallenberg ihr Nein zur Nothilfe beteuern, erschreckt mich zutiefst und lässt meine Hoffnung zwei Tage vor dem 24. Dezember sinken. Wobei der große öffentliche Druck meinen Mut und meine Zuversicht auf ein Weihnachtswunder jedoch wieder steigen lässt!
Wir sind es den unschuldigen Babys, die von Ratten gebissen werden und den Kindern, die ihren Lebenswillen verloren haben, den Müttern, die nur noch apathisch ins Nichts starren sowie den Männern, die auf Grund der Perspektivelosigkeit verzweifeln, schuldig, dass wir uns für sie und ihre Rechte auch nach dem 24. Dezember einsetzen. Der Weihnachtsgedanke ist das ganze Jahr über aufrecht. Wir werden nicht ruhen, ehe die „Schande Europas“ der „Würde Europas“ gewichen ist!
Ich danke für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und verbleibe
mit weihnachtlichen und menschenwürdigen Grüßen,
Eva Hottenroth
PS: Sie können alle meine Briefe und die Antworten, die ich bis jetzt erhalten habe, unter diesem öffentlichen Link nachlesen: https://m.noen.at/erlauftal/fluechtlinge-eva-hottenroth-hofft-auf-ein-weihnachtswunder-scheibbs-redaktionsfeed-engagement-fluechtlinge-moria-flucht-asyl-eva-hottenroth-redaktion-237738457
PPS: Das UNICEF-Foto des Jahres zeigt die vor dem Feuer fliehenden Kinder von Moria: https://www.orf.at/#/stories/3194688/ Diese Bild sagt tatsächlich mehr als tausend Worte.
PPPS: Auf diesem link sehen sie in Stunde 4h 48 min https://www.youtube.com/watch?v=MSoeOlFVxcc eine Video-Montage über Moria von Ronny Kokert zur Europahymne….
PPPPS: Sehr geehrter Herr Bernhuber, ich habe in den sozialen Medien ihr Video über den Weihnachtsbaum, der heuer von Mariazell nach Brüssel transportiert worden ist, gesehen. Ich finde die Aktion sehr nett. Inhaltlich wäre es aber auch sehr wichtig, die Muttergottes von Mariazell und ihre Geschichte nicht zu vergessen: Auch sie hat eine Herberge gesucht und ihr Kind unter unwürdigen Bedingungen im Stall bei den Viechern zur Welt bringen müssen. Das Jesuskind hatte nur eine Krippe als Bett, die Flüchtlingskinder in Kara Tepe haben zur Zeit nicht einmal das. Sie müssen auf dem nassen Boden schlafen! Stellen Sie daher bitte auch ihrem Parteichef symbolisch "einen Baum auf“, der ihn an seine Verantwortung als Staatsmann und als gläubiger Christ erinnern soll…vielen Dank!
Antwort von Rebecca Kampl
Assistentin von SPÖ EU Abgeordnete Bettina Vollath
Sehr geehrte Frau Hottenroth,
Wir bedanken uns sehr für ihr Schreiben und ihr Engagement. Wir stehen in sehr guten Kontakt mit Doro Blancke und verfolgen ihre Berichte sehr genau. EU-Abgeordnete Dr. Bettina Vollath, die auch selbst seit Jahren zwei afghanische Flüchtlinge in der Steiermark betreut, setzt sich im EU-Parlament ganz vehement und mit Herz und Hirn dafür ein, dass es endlich zu einer Evakuierung kommt. Wir haben schon mehrmals dringliche Briefe an die EU-Kommission verfasst, und eine Reihe von parlamentarischen Anfragen eingereicht (gestern erneut eine Anfrage, dass die Bleibelastung in Kara Tepe bedenklich ist (da es sich um ein ehemaliges Militärgelände handelt) wie ein neuer Bericht von human rights watch nun gezeigt hat.
Die Zustände in den Lagern sind menschenunwürdig und es kann nicht sein, dass Menschen aus politischen Kalkül in solchen Zuständen leben müssen und ihnen der Zugang zu einem Asylverfahren versagt bleibt. Als Europäische Union sind wir - wie sie völlig richtig sagen - den Verpflichtungen aus EMRK und Grundrechte Charta verpflichtet. Aus beiden Konventionen lässt sich aus menschenrechtlicher und rechtlicher Perspektive die Verpflichtung - Würdige Unterbringung und Recht auf Asylzugang - eindeutig ableiten. Ebenso aus der Genfer Flüchtlingskonvention und nicht zuletzt auch aus den bestehen sekundärrechtlichen Asyl-Richtlinien haben Staaten die Verpflichtung, zu handeln und Rechtsansprüche zu garantieren.
Es ist eine Schande, wie im Fall Griechenland (und anderen Außengrenzen) den geltenden rechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen wird. Zusätzlich sehen wir massive Gewaltanwendungen und systematische illegale Pushbacks an den Außengrenzen. All das ist nicht mit EU-Recht vereinbar und muss Konsequenzen haben. Kleine Schritte gibt es, der EUGH hat vor kurzem zb Ungarn verurteilt aufgrund der Haft-Transitanstalten und dem Umgang mit Geflüchteten. Das reicht natürlich nicht aus. Wichtig ist die konsequente Durchsetzung von rechtlichen Verpflichtungen! Von großer Bedeutung wäre es auch, dass die Umsiedlung durch jene EU-Länder, die eine positive Zusage gemacht haben, rasch ihre Kontingente erfüllen.
Die vielen zivilgesellschaftlichen wichtigen Initiativen (wie zb die Courage Initiative), aber auch viele kirchliche Aufschreie in Österreich zeigen, dass es auch ein anderes Österreich gibt und zeigen, was alles möglich wäre. Wir hoffen sehr, dass jenen die helfen wollen, nicht länger Steine gelegt werden. Gerade jetzt wo es so deutlich wird, dass wir alle verletzlich und aufeinander angewiesen sind, wäre Solidarität das Gebot der Stunde. In Österreich: Viele Unterkünfte stehen leer und bereit. Wir könnten sofort anfangen, wenn man uns ließe. Hilfe zu untersagen ist der völlig falsche Weg, unvernünftig und kaltherzig. Es ist traurig, dass Österreich sich durch die Regierung auf der Seite der blockierenden Staaten in Europa befindet und eine europäische Lösung (die von der Regierung selbst zwar immer wieder eingefordert wird) seit Jahren im Rat auch durch Österreich aktiv verhindert wird.
In diesem Sinne kann ich mich nur nochmals im Namen von Bettina Vollath ganz herzlich für ihr Email bedanken und versichern, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um eine Verbesserung zu erreichen. Schreiben wie das ihre ermutigen uns in unserer Arbeit, danke dafür. Gerne können Sie sich für Rückfragen und Anregungen jederzeit an uns wenden. Wir wünschen Ihnen trotz allem schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Mit freundlichen Grüßen,
Rebecca Kampl
Antwort von Dr. Günther Sidl
Abgeordneter zum Europäischen Parlament
Sehr geehrte Frau Dr. Hottenroth!
Zuerst möchte ich mich sehr herzlich für ihr Engagement für Menschen auf der Flucht bedanken. Es ist vor allem der Einsatz vieler Bürgerinnen und Bürger der der Politik immer wieder einen Spiegel vorhält und sie zu einem humanitären Handeln auffordert.
Ich war von 2013 - 2018 Integrationssprecher der Sozialdemokratischen Fraktion im NÖ-Landtag. Ich habe mich für immer für faire Asylverfahren, eine ordentliche Unterbringung und Integration ab den ersten Tag - etwa beim Spracherwerb - eingesetzt. Dies auch gegen viele Widerstände. Nun versuche ich meine Haltung auf europäischer Ebene aktiv einzubringen.
Meine Position zur Moria ist klar und deutlich. Dies habe ich in meiner Rede in der Europastunde (23.09.) im österreichischen Nationalrat klar dargelegt.
Anbei der Link zu meinen Redebeitrag: https://youtu.be/d5hvVYjw0h4
Moria ist leider das Sinnbild für die europäische Uneinigkeit wie man mit Menschen auf der Flucht umgehen soll. Man muss es offen aussprechen: Ein Versagen der Mitgliedsstaaten. Von manchen Ländern auch bewusst herbeigeführt.
Weiterhin viel Kraft und Energie für ihre Arbeit!
Ich wünsche ihnen ein schönes Weihnachtsfest und für 2021 alles Gute - vor allem Gesundheit!
Mit besten Grüßen aus Petzenkirchen
Dr. Günther Sidl
Antwort von Monika Vana,
Abgeordnete zum Europäischen Parlament
Delegationsleiterin der österreichischen Grünen
Sehr geehrte Frau Hottenroth!
Vielen herzlichen Dank für Ihre Nachricht. Als Mitglied der Grünen Fraktion im Europaparlament setze ich mich mit aller Kraft für die Evakuierung der Lager in Moria oder Kara Tepe ein und fordere eine solidarische Aufnahmepolitik und legale Wege nach Europa, denn das jahrelange Versagen Europas hat die Hot-Spots an den EU-Außengrenzen erst verursacht. Europaweit sind Städte und Regionen bereit, flüchtende Menschen aufzunehmen. Mehr denn je müssen die EU-Mitgliedstaaten eine faire europäische Aufnahmepolitik ermöglichen. Überfüllte Massenlager, in denen Flüchtende festgehalten werden, dürfen an den EU-Außengrenzen keine Zukunft haben.
Ich selbst habe übrigens ebenfalls einen politischen Adventkalender veröffentlicht, auf Facebook gibt es jeden Tag ein Türchen zu einer EU-Agentur mit Erklärung ihres Wirkens. Das Thema Asylpolitik war bereits am 18.12. zu lesen und wird wiederkehren - passenderweise - am 24.12.
Mit freundlichen Grüßen und erholsame Feiertage!
Dr. Monika Vana
Antwort von Thomas Waitz,
Abgeordneter zum Europäischen Parlament
Fraktion der Grünen / Freie Europäische Allianz
Sehr geehrte Frau Hottenroth,
Vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Engagement. Die Idee eines Adventskalenders mit Solidaritätsaufrufen ist wirklich sehr schön. Gemeinsam mit der Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament setzen wir uns schon seit Jahren für Solidarität und Mitgefühl ein und drängen darauf, dass die Europäische Union ihrer Verantwortung gegenüber den Geflüchteten gerecht wird. Die Zustände, von denen Sie sprechen sind unerträglich. Die Grünen im Europäischen Parlament rufen die Mitgliedsstaaten dazu auf, endlich einen menschenwürdigen Umgang mit den Frauen, Männern und vor allem Kindern zu finden und das Leid dieser Menschen nicht noch weiter zu verschärfen. Alle Mitgliedsstaaten müssen sofort handeln und die Geflüchteten aus diesen Elendslagern aufnehmen – nicht nur, aber besonders in dieser kalten Winterzeit.
Wir werden uns weiter für Menschlichkeit und Solidarität einsetzen und wünschen auch Ihnen viel Erfolg mit Ihrer Aktion.
Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für das neue Jahr,
MdEP Thomas Waitz und Clara Schweighofer