Große Lust auf individuelle Mode

Es gibt hunderte Tipps in Modezeitschriften und auf Online-Plattformen, was „frau“ ab 60 Jahren nicht mehr oder ab jetzt tragen sollte. Doch braucht eine Frau, die 60 Jahre oder mehr alt ist, überhaupt noch einen Mode-Ratgeber – hat sie nicht schon längst ihren eigenen Stil entdeckt?
Drei modebewusste Frauen aus Niederösterreich erzählen, wie sich ihr individueller Kleidungsstil entwickelt hat.
Sarasdorferin liebt es bunt und bequem

Sabine Maurer aus Sarasdorf ist seit 2022 in Pension. Davor war sie Sonderschuldirektorin in Bruck an der Leitha. Schon als Kind sollte für sie Kleidung immer praktisch sein. Ihre Mutter ließ ihr die Haare mit fünf Jahren ganz kurz schneiden, weil es „praktischer“ war. „Mama nähte Gewand für meine Großmutter und wenn sie dafür Stoff kaufen ging, fiel immer auch ein Reststück für ein Kleid für mich ab“, erzählt sie. Und weiter: „Ich durfte beim Nähen zwar Hilfsdienste verrichten, aber Mama war immer zu ungeduldig, um es mir richtig zu lernen.“ Schon als Kind konnte Maurer keine kratzigen Wollsachen leiden und das hat sich bis heute nicht geändert. „Ein Pullover kann noch so schön aussehen, wenn er kratzt, kommt er nicht in meinen Kleiderschrank!“ Das erste individuelle Kleidungsstück legte sich Maurer mit 16 Jahren zu. Es war eine rosa Latzhose. So sorgte sie damals (1975) in ihrem Heimatort für Gesprächsstoff. „Mir war die Meinung der Dorfleute aber egal“, lacht die Pensionistin.

Maurer hat in ihrem Leben schon immer viel selbst genäht, aber über schwierige Teile traute sie sich nicht drüber. Doch 2022 schenkte ihr ihr Ehemann Franz einen Exklusiv-Nähkurs mit einer Schneiderin. „Selbst genähte Kleidung passt sich eben meinem Körper an und sitzt daher perfekt“, so die Hobbyschneiderin. Sie liebt Farben und ist laut Farbberatung ein Wintertyp. Das bedeutet, dass ihr Lila, Grün, Blautöne in allen Nuancen sowie leuchtende Rot- und Pinktöne stehen. „Es ist schon spannend zu sehen, wie die passenden Farben die Ausstrahlung verstärken“, weiß Maurer.
Als Sonderschuldirektorin war Maurer oft für Gutachten unterwegs, da brauchte sie viele verschiedene Outfits. Seit der Pensionierung benötigt sie weniger neue Kleidungsstücke.
Lasse mich inspirieren und drucke Designs
Sabine Maurer liebt den Lagenlook der schwedischen Modedesignerin Gudrun Sjöden. Da werden verschiedene Kleidungsstücke farblich passend übereinander getragen. „Bei dieser Art von Mode kann man auch ein paar Kilo mehr haben und sieht trotzdem chic aus“, weiß sie. „Ich lasse mich auch öfter in Modeshops inspirieren und drucke zuhause ähnliche Designs auf T-Shirts und Sweater. Mein Mann liebt von mir bedruckte Oberteile und Kopfbedeckungen und trägt diese zu allen möglichen Anlässen.“
Möchte T-Shirt mit Pippi Langstrumpf

Gaby Schätzle kommt aus dem Schwarzwald bei Freiburg und zog mit 21 Jahren (1978) wegen der Liebe und des Studiums nach Österreich in den Ort Hinterbrühl. An der Uni Wien studierte sie Ethnologie. Die Völkerkundlerin liebt es zu reisen und besonders haben es ihr die Südsee und Papua-Neuguinea angetan. Auf die Frage, welches Kleidungsstück sie sich in nächster Zeit kaufen würde, antwortet die Abenteurerin: „Ein T-Shirt, auf dem Pippi Langstrumpf abgebildet ist, hätte ich gerne.“ Schätzle war bei der Gründung der Grünen Alternativen in Mödling dabei und mit ganzem Herzen bei den Demonstrationen gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf und für die Hainburger Au. „Damals trug ich hauptsächlich Jeans und Latzhosen. Doch ich hatte immer schon einen Sinn für Formen und Farben“, erinnert sich die politisch Interessierte. Schon als Volksschulkind habe sie Kleider und Stöckelschuhe gezeichnet. Das gute Kombinieren von Farben habe Schätzle aber von ihren Eltern gelernt. Die achteten beide sehr auf elegantes, ordentliches Outfit, ihre Mutter ließ ihr bei einer Schneiderin Kleider nähen. „Ich selbst habe, als meine Tochter klein war, auch viel für sie und für ihren Kuschelbären im Partnerlook genäht“, erinnert sich die Ethnologin.
Kleidung muss sich den Proportionen anpassen
„Jetzt habe ich mehr High Heels als Anlässe, sie zu tragen“, lacht die Schuhliebhaberin. Als Kind wollte sie Modedesignerin oder Tierärztin werden und nach dem Abitur erkundigte sie sich, ob man Modedesign auch studieren kann. „Aber dafür hätte man zuvor eine Schneiderlehre absolvieren müssen und das war mir dann doch zu mühsam“, so Schätzle. Sie brachte sich dann selbst Nähen bei und nähte Abendkleider und historische Theaterkostüme für Auftritte mit ihrer Theatergruppe. Zu den Kostümen gehören auch Korsagen und passende Stiefel. „Ich liebe Steampunk-Mode über alles“, meint die 65-jährige begeistert und erklärt: „Steampunk ist eine Mischung aus Edelvampir-Style und Jules Verne, nur leider nicht alltagstauglich.“ Schätzle gefallen aber auch Bikerjacken, Ledermäntel und Trenchcoats sehr gut.

„Schöne Teile finde ich oft per Zufall, da hängt dann etwas im Shop,als hätte es dort auf mich gewartet“, beschreibt Schätzle ihr Kaufverhalten. Auch auf Flohmärkten findet sie immer wieder schöne Taschen oder Tücher. „Eine der höchsten Trefferquoten habe ich, wenn ich nicht gezielt einkaufen gehe“, lacht sie. Ihr Credo: Mode soll kleidsam sein und sich den Proportionen anpassen. „Ich würde gerne mehr Hüte tragen und eigentlich wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, so ab 60 Jahren, mehr Mut zum eigen Stil zu entwickeln – wann, wenn nicht jetzt!“
Die dritte Interviewpartnerin zum Thema Stilentwicklung ist Gerda Grossauer aus Schwechat.
Musste meine feminine Seite erst entdecken

Vor Kurzem lehrte die Biologieprofessorin noch an einem Wiener Gymnasium, ist aber nun im Ruhestand. Als Kind war sie immer sehr burschikos angezogen und trug auch in der Schule oft Hosen und die Haare zu praktischen Zöpfe geflochten. Grossauers Mutter ging mit ihren Kindern zur Tauschbörse, wenn sie Kleidung brauchten. „Doch von meiner Tante bekam ich, als ich etwa acht Jahre alt war, zwei ganz neue schöne Kleider, die zog ich ständig abwechselnd in der Schule an“, erinnert sich die Biologin. Als Teenager hätte sie gerne etwas Nagellack und Lipgloss verwendet, doch ihre Eltern fanden das nicht passend.
„Mit 18 Jahren zog ich dann von zuhause aus, zu meinem Freund“, erzählt Grossauer. Beide studierten Biologie und sie trug, wie fast alle Studenten damals, Latzhosen, indische Kleider und „Sacksachen“. „Mit 29 Jahren kam meine Tochter Hanna zur Welt. In dieser Zeit fühlte ich mich noch nicht sehr weiblich, wollte alles alleine schaffen und hatte meine feminine Seite noch nicht entdeckt“, so die Professorin.
Auf einmal hat es klick gemacht

Doch das änderte sich, als Grossauer mit ihrem zweiten Kind schwanger war. „Da nahm ich an einem Kurs für orientalisches Tanzen teil. Wir waren nur Frauen und tanzten mit Schleiern und barfuß – da hat es bei mir geklickt und ich fühlte mich so richtig wohl in meinem Körper“, erinnert sich die 62-Jährige. Ab diesem Zeitpunkt trug die Schwechaterin im Sommer auch luftige kurze Flatterkleidchen und im Winter Miniröcke mit blickdichten Strumpfhosen. „Die Wintervariante trage ich auch heute noch“, lacht Grossauer. Aktuell ist ihr aber wichtig, dass ihre Mode bequem ist und aus Naturmaterialien in guter Qualität besteht. „Jeder Einkauf ist eine Volksabstimmung“, zitiert sie den Schuhfabrikanten Heini Staudinger und kauft Kleidung nur mit Global Organic Textile Standard (GOTS) oder im Secondhand-Laden.
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