„Persönliche Assistenz“: Meilenstein für selbstbestimmtes Leben

Erstellt am 19. Februar 2022 | 06:33
Lesezeit: 5 Min
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Freude über einen ersten NÖ Anbieter von „Persönlicher Assistenz“ zur Wahrung eines selbstbestimmten Lebens, auch wenn Arme und Beine nicht funktionieren, bei Assistentin Jasmin Pollak, Silke Kropacek, Gunther Bibl und Susanne Grosslicht von der Agentur Grosslicht.Care in Thaya (von links).
Foto: privat
Silke Kropacek und Susanne Grosslicht: „Persönliche Assistenz“ wird regional.
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Das Echo war groß, als die NÖN im November 2021 über ein kollabierendes Netz der Hilfe im Alltag von Menschen mit individuellen Behinderungen berichtete. Nach dem Hilferuf der Selbsthilfegruppen-Gründerin Silke Kropacek aus Kirchberg am Walde, die wochenlang nicht einmal jemanden hatte, der ihr ins Bett geholfen hätte, ging es aber zügig: Als erste NÖ Agentur wurde „Grosslicht.Care“ aus Thaya vom Land NÖ dafür zugelassen, Leistungen als Anbieterin von „Persönlicher Assistenz“ zu verrechnen.

Eine Situation, wie Kropacek sie der NÖN geschildert hatte („Manchmal bin ich 48 Stunden alleine“), werde sie nicht zulassen, verspricht Susanne Grosslicht nun. Sie könne aus einer im Sommer 2021 gestarteten zweiten Schiene für 24-Stunden-Betreuung bei Bedarf auf ein etwa 20-köpfiges Team zurückgreifen. Und, wenn alle Stricke reißen: „Dann springe ich selbst ein, damit die Menschen gut versorgt sind.“

Dass es möglich ist, dass manche Menschen tagelang unbetreut bleiben, hat mich entsetzt. Das kann‘s einfach nicht sein.“ Susanne Grosslicht Grosslicht.Care

„Hürde war schier unüberwindlich.“

"Mein Wunsch ging in Erfüllung“, jubelt Silke Kropacek. Einerseits darüber, dass nach fünf Monate langem bürokratischen Kampf das Okay des Landes dafür gekommen sei, dass Grosslicht.Care neben der 24-Stunden-Betreuung auch ein Angebot der Persönlichen Assistenz stellen und verrechnen darf. Die Hürde sei dazu „schier unüberwindlich“ gewesen.

Warum ihr das so wichtig war? Die zwei zuvor in Niederösterreich akzeptierten Träger – Wiener Organisationen – hätten laut Kropacek im Waldviertel unter Personalmangel gelitten, keine garantierte Assistenz gewähren können. Fand sich kein Mitarbeiter für einen Klienten ober dem Manhartsberg, so blieb dieser eben ohne Hilfe. Rechtsanspruch darauf gibt es wie berichtet sowieso keinen.

Zehn Jahre lang für eine regionale Lösung gekämpft

Nicht weniger als zehn Jahre hatte Kropacek gekämpft, um im Waldviertel überhaupt jemanden zu finden, der ein solches Angebot organisieren wollte.

Das sei nun dank ihrer Willensstärke und Beharrlichkeit gelungen, sagt sie: „In meiner Verzweiflung recherchierte und suchte ich nach Möglichkeiten zur Verbesserung meiner Situation.“ Dabei stieß sie im September plötzlich auf Grosslicht.Care. In einem Treffen habe Susanne Grosslicht das Problem im Waldviertel sofort erkannt und auch gleich Kontakt mit dem Land NÖ aufgenommen, seither sei dort das Bewilligungsverfahren gelaufen, bis nun grünes Licht kam. Parallel dazu habe Grosslicht bereits nach Assistentinnen und Assistenten gesucht, in einem konstruktiven Austausch seien Ideen entwickelt worden: „Nun wollen wir die Themen gemeinsam zur Verwirklichung bringen.“

Grosslicht: Selbstständigkeit aus Überzeugung

Die Mangel-Situation hinsichtlich Persönlicher Assistenz sei ihr vor dem Kontakt mit Kropacek wenig bewusst gewesen, sagt Susanne Grosslicht. Die Diplomkrankenschwester war früher als Gebietsleiterin einer 24-Stunden-Agentur mit einigen Abläufen unglücklich und hatte deshalb den Weg in die Selbstständigkeit gewagt. „Dass es möglich ist, dass manche Menschen tagelang unbetreut bleiben, hat mich entsetzt. Das kann‘s einfach nicht sein“, so Grosslicht. Der Weg zum dritten akzeptierten Träger der Leistungen für die Persönliche Assistenz des Landes NÖ sei lange und zäh gewesen, aber jetzt gebe es doch grünes Licht.

Die Praxis, dass Klienten sich selbst um Personal aus dem Angebot eines Anbieters schauen müssen, will Grosslicht beenden: „Das soll bei mir nicht zwischen Klient und Mitarbeiter ausgemacht werden müssen – ich will in Abstimmung mit beiden Seiten einen fixen Plan erstellen, wer wann wo ist. Nur dann weiß ich, dass alle Dienste fix abgedeckt sind.“

Die 24-Stunden-Betreuung organisiert sie über Werkverträge – mit höherem Lohn wie bei anderen Agenturen und ohne Abzug von Provisionen, wie sie betont. Der Kunde bekomme ein „Rundum-Sorglos-Paket“, in dem anderswo kostenpflichtige Extras schon integriert seien. In Karlstein hat sie eine Wohnung angemietet, die Pfleger nutzen können. Ständig seien auf ihre Vermittlung etwa 20 Personen im Einsatz, so Grosslicht. Das Netz sei inzwischen groß genug, um in Zeiten von Corona auch kurzfristige Ausfälle binnen weniger Stunden zu kompensieren.

Was ist Persönliche Assistenz? Wer hat Anspruch darauf?

Persönliche Assistenten sollen quasi Arme und Beine ersetzen, Menschen in ihrem Umfeld ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Susanne Grosslicht stellt diese – anders als ihre 24-Stunden-Betreuer – als freie Dienstnehmer an, entrichtet Nebenkosten und zahlt einen Nettolohn pro Stunde aus.

„Fixanstellungen gehen leider nicht“, bedauert sie. Warum? Wer Pflegestufe fünf hat, kann einen Antrag auf Persönliche Assistenz stellen (Kropacek sieht den Bedarf wie berichtet ab Stufe drei). Das Land legt dann Stunden fest, die man mit Selbstkostenanteil einlösen kann – die Organisation erhält vom Land NÖ 20,50 Euro pro Stunde, muss damit auch die Verwaltungskosten stemmen. Fällt jemand aus, so muss der Ersatz finanziert werden, aber das Geld wird nicht mehr.

Aufklärungsarbeit

Räumlich abdecken will und muss Grosslicht mit der Persönlichen Assistenz ganz Niederösterreich. Wie viel Personal sie letztlich brauchen wird, das kann sie dabei noch nicht abschätzen. „Oft wissen Menschen, die eigentlich eine Persönliche Assistenz benötigen und die Förderung vom Land NÖ auch bekommen würden, gar nichts von dieser Option“, sieht sie auch noch Aufklärungsbedarf.

Die vor 25 Jahren bei einem Autounfall schwerst verletzte Silke Kropacek ist jedenfalls mal dabei. Sie hat zum Start auch zwei weitere Kunden zu Grosslicht.Care mitgebracht.

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