Bio-Landwirtschaft: Hilfe für die Selbsthilfe in Westafrika

Wenn der Biobauer Tristan Toé Salat anbaut, dann teilt er sein Feld in zwei Teile. Einen für Österreich, einen für Afrika. Die „österreichischen“ Pflänzchen werden gehegt und gepflegt. Jene für Afrika müssen leiden. Der 40-Jährige ist alles andere als ein Quälgeist, aber er verfolgt eine Mission: Toé sucht Pflanzen, die die härtesten Bedingungen überleben. „Die, die es verstehen, mit Trockenheit auszukommen, geben diese Information im Saatgut an die zweite Generation weiter.“
Diese zweite Generation ist Teil einer noch größeren Mission: Der aus Mali stammende und nahe Gars/Kamp lebende Toé hat es sich gemeinsam mit dem Schremser „Schuh-Rebellen“ Heini Staudinger und dem Politikwissenschafter Michael Huber-Strasser zum Ziel gesetzt, biodynamische Landwirtschaft vom Bodenaufbau über das Saatgut und die Viehzucht nach Westafrika zu bringen. In Zusammenarbeit auch mit Uni-Professoren aus Österreich und Frankreich richten sie auf akademischer Basis eine überbetriebliche Lehrwerkstätte ein, die Bauern das Rüstzeug für die Hilfe zur Selbsthilfe geben soll.
Um Toés Motivation zu verstehen, bedarf es des Blickes zurück. Seine Familie kam aus Burkina Faso, wurde in den 1930ern von Kolonialisten zur Arbeit auf Reisplantagen am Nigerfluss nach Mali umgesiedelt. 13 Kinder hatte die Oma, elf starben an der Malaria. Ein Überlebender war Tristans Vater. Tristan wuchs in Bamako, Hauptstadt des 20-Millionen-Einwohner-Landes Mali, auf. Mit 17 kam er zur vierjährigen Gartenbau-Ausbildung nach Frankreich. Im Zuge dessen absolvierte er Praktika bei Reinsaat in St. Leonhard am Hornerwald (biodynamische Saatgut-Züchtung) und in der konventionellen Rosenzüchtung in Kanada, wo er an der Entwicklung erster gelber und orangener Rosen für die Agrar-Industrie mitwirkte. Er lernte, Pflanzen von Grund auf zu verstehen, entschied sich für den Weg in der biodynamischen Landwirtschaft.
Warum? „Ich habe nichts gegen Technologien in der Landwirtschaft. Aber sie sind unnötig: Nichts ist effizienter, als Sonnenenergie, Mikroorganismen und Pilzen einfach ihren Job machen zu lassen“, sagt er. Kein Wald werde gedüngt, aber er gedeihe. „Weil ein Blatt drei Minuten, nachdem es zum Boden gefallen ist, mit Insekten und Pilzen übersät ist, sich der Kreislauf sofort weiter dreht. So lebt die Erde, auf der die Bäume gedeihen – der Baum weiß das, wenn er das Blatt fallen lässt.“
Ich bin süchtig nach Problemen. Es gibt kein Problem, das nicht mit der Lösung geboren wurde. Tristan Toé
Toé kehrte zurück zu Reinsaat, dem Vorreiter für gentechnikfreie Saatgutvermehrung in St. Leonhard, fand hier in Jahwezi Graf seine spätere Gattin, gründete mit ihr eine Familie. Jahwezis Vater Dieter Graf war Initiator des Projektes „Kunst in der Natur“ an seinem Wohnsitz am Wachtberg hoch über Gars. Die umliegende Fläche gehörte ihm, galt aber als landwirtschaftlich unattraktiv – mit kargem, trockenem, kaum humosem Boden, durchzogen von Felsen. So schlug die Stunde des Tristan Toé, der hier heute mit seiner Familie lebt. „Ich bin süchtig nach Problemen“, lacht er: „Es gibt kein Problem, das nicht mit der Lösung geboren wurde, kein Plus ohne Minus.“
Landwirtschaft muss einfach ein bisschen sexy sein. Tristan Toé
Heute spricht er von einem Ertrag für hundert Familien plus „Futterprodukten für die Äcker“ (den Humus) auf 4.000 m² Anbaufläche. In seinen unbeheizten Folientunneln sprießt selbst jetzt im März eine Vielfalt an Salaten, die Wärme kommt aus einem Zersetzungsprozess aus Mikrooranismen und Pilzen.
Im Familienbetrieb Biosain wurde auch schon mit dem Anbau der tropischen Färberpflanze Indigo oder Baumwolle experimentiert. „Landwirtschaft muss einfach ein bisschen sexy sein“, schmunzelt Toé. Dieses Bild wolle er auch weitergeben. „Sonst macht diesen schönsten Beruf der Welt irgendwann niemand mehr.“

Auf nach Afrika
Dort will sich Toé nicht als Konkurrent der Agrarkonzerne sehen. Aber: Es gebe in Westafrika kein Bio-Saatgut, also auch so gut wie keine Bio-Bauern. Erwerblich seien lediglich nicht-samenfeste, also nicht vermehrbare europäische Hybrid-Züchtungen – ein Ausbrechen aus der Abhängigkeit sei somit unmöglich. „Ich sage nicht, dass Bio gut ist. Bio ist ein Weg, vielleicht der gesündere, einfachere und erfolgreichere. Ich möchte dabei helfen, dass ihn auch in Westafrika gehen kann, wer ihn gehen will“, betont Tristan Toé.
Diese Hilfe geht weit über das Saatgut hinaus
Hier kommen seine Freunde Heini Staudinger, für dessen Gea-Akademie er auch Seminare abhält, und Michael Huber-Strasser ins Spiel. „Wir helfen mit, Kontakte aufzubauen und die Finanzierung aufzustellen. Ziel muss es sein, mit der richtigen Strategie im Kleinen zu starten, bis das Projekt genug eigene Kraft hat“, sagt Staudinger, der vor wenigen Tagen von einer Reise mit Toé zum Schauplatz in Mali zurückgekehrt ist: „Wie Tristan das angeht, das ist faszinierend. Ein Österreicher würde sagen, da kannst du nichts machen.“

In Mali sahen sie auf 4.000 m² großen Äckern von Toés Familie, was aus den Nachkommen der härtesten in Österreich ausgedörrten Pflanzen geworden ist: Die erste im größeren Stil vorgenommene Pflanzung aus dem Oktober trug reiche Ernte, Staudinger und Toé zeigen mit leuchtenden Augen Bilder von Gurken, Karotten, Radieschen, Roten Rüben, Salaten inmitten karger Landschaft – die allesamt auf Boden keimten, den das Saatgut nicht gekannt hatte. Gespeist wurden sie vom Wasser aus einem Brunnen, für den 160 Meter in die Tiefe gegraben hatte werden müssen.

Module für die Hilfe zur Selbsthilfe
Die nächsten Schritte sollen sein, was Michael Huber-Strasser nach – wie er sagt – „vielen nächtlichen Runden mit Tristan“ in ein Konzept gefasst hatte: Ein Unterrichtsmodell für die Hilfe zur Selbsthilfe soll auf die Beine gestellt werden.
Dabei sollen Teilnehmende in Kooperation mit der „Formation sans frontières“ jeweils halbjährige Ausbildungsmodule für Viehwirtschaft & Getreide, Saatgut & Gemüse und Bodenaufbau durchlaufen, ergänzend den technischen Background zum Brunnenbau oder zur Sonnenstrom-Gewinnung für die Lagerkühlung erhalten. „So können sich Bauern selbst helfen, und durch Hilfe für andere auch was dazuverdienen“, sagt Huber-Strasser. Wer den Nutzen von Methoden verstehe, der werde sie auch anwenden.

Ein erster Wohnbau für Lehrer oder Studenten ist bereits vor Fertigstellung, ein als Lager nutzbarer Lehmbau im Entstehen, ein Campusgebäude in Bau. Damit eine nennenswerte Saatgutproduktion anlaufen kann, erachtet die Gruppe gut 170 eigenständige Partner als nötig. Die Vision ist es, dass sich das Konzept nach und nach auf weitere westafrikanische Länder ausbreitet.
Toé selbst ist schon beim übernächsten Schritt
Er hat heimische Pflanzen ausgedürrt, um die Härtesten für Afrika zu selektieren. Das Spiel könnte er auch umdrehen: Was wird aus Feldfrüchten, deren Eltern das Klima aus Mali kannten und ihnen diese Information mit ins Saatgut gaben – und die dann wieder am Wartberg bei Gars gepflanzt werden? „Nicht alle werden reif werden“, glaubt er. „Die, die es werden, werden aber die Besten.“