„Versprechen gebrochen“: Der Bezirk zur neuen Koalition

Deutliche Worte findet Georg Ecker, Landtagsabgeordneter der Grünen, für die neue Regierungsform: „Die schwarz-blaue Koalition ist ein neuer politischer Tiefpunkt in Niederösterreich.“ Er ist überzeugt: Niederösterreich werde inhaltlich in die Vergangenheit katapultiert.
Der Mariathaler findet das Zustandekommen der Koalition fatal: „Beide Spitzenkandidaten haben vor der Wahl versprochen, nicht miteinander zu koalieren und haben somit ihre Versprechen gebrochen, nur um an die Macht zu kommen bzw. weiter an der Macht zu bleiben.“ Für Ecker ist klar, dass so nur noch weitere Gräben aufgerissen werden.
Johanne Mikl-Leitner hat die Liebe zum Land verloren. Georg Ecker, Landtagsabgeordneter Grünen
„Ich kann nicht nachvollziehen, dass Johanna Mikl-Leitner lieber eine Koalition mit Hitlergrußzeigern eingeht als den gratis Kindergarten umsetzen zu wollen“, schüttelt Ecker den Kopf und denkt dabei an ein Mitglied des FPÖ-Landtagsklubs, der in der Vergangenheit beim Zeigen des Hitler-Grußes fotografiert worden war. „Wer wie Johanna Mikl-Leitner auf die Idee kommt, mit Klimaleugnern, Wissenschaftsverweigerern, Kunstfeinden und Hetzern einen Pakt einzugehen, hat die Liebe zum Land verloren“, sagt der Abgeordnete.
Ähnlich sieht es SPÖ-Bezirkschef Stefan Hinterberger: „Die FPÖ ist im Liegen umgefallen und hat ihre Überzeugung über Bord geworfen, Johanna Mikl-Leitner nicht zur Landeshauptfrau zu machen.“ Der Göllersdorfer befürchtet, dass die schwarz-blaue Konstellation Stillstand für den Bezirk bedeute, da eine ganztägige gratis Kinderbetreuung sowie die Anstellung pflegender Angehöriger und die Stärkung des ländlichen Raums gerade für Hollabrunn enorm wichtig gewesen wären. „Ich bin sehr froh, dass Sven Hergovich Haltung gezeigt hat.“
NEOS-Kandidat überzeugt: Schwarz-Blau ist Zumutung für das Land
Schockiert und sprachlos ist Jürgen Margetich, wenn er an die Entwicklungen in der Vorwoche denkt. Er ging für die NEOS als Spitzenkandidat im Bezirk ins Rennen. Mit Schwarz-Blau habe er nicht gerechnet, sagt er im NÖN-Gespräch: „Ich bin schockiert, dass sich die ÖVP so übersensibel zurückzieht und sagt: ,Oh Gott, da stellt jemand Forderungen, die mir nicht gefallen!'“ Schwarz-Blau sei jedenfalls eine Zumutung für das Land.
Für den Further ist klar: „Hätten wir in Niederösterreich keinen Proporz, wäre eine freie Koalition möglich.“ An dieser sollten sich jene beteiligen, die das Land wirklich nach vorne bringen wollen. Jetzt stünde Niederösterreich vor zwei Katastrophen: „Entweder passiert jetzt fünf Jahre nichts, oder wir müssen früher wählen gehen.“ Beide Szenarien seien verantwortungslos. „Wenn man es mit einem Unternehmen vergleicht, dann kommt das einer Konkursverschleppung nahe“, meint der Unternehmensberater.
ÖVP-Hogl hoffte auf Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen
Das Arbeitsübereinkommen von ÖVP und FPÖ hat sich Margetich angesehen. Sein Fazit: „Es ist nicht zu erwarten, dass wir das bekommen, was wir brauchen. Es ist ein reines ,wünsch-dir-was‘, bei dem sich jeder freut, auch vorzukommen.“
Anders fällt die Reaktion jener Politiker aus, die den beiden Regierungsparteien angehören: „Ich habe am Schluss sogar darauf gehofft, nachdem klar war, dass mit der SPÖ nichts geht“, sagt ÖVP-Bezirkschef Richard Hogl zum Pakt mit der FPÖ. Ein „freies Spiel der Kräfte“, das ihm eine Wählerin vorgeschlagen hätte, wäre unfinanzierbar. „Da musst du dir jeden Beschluss erkaufen.“
Demokratiepolitisch ist das in Ordnung und inhaltlich wesentlich vernünftiger als irgendein Kompromiss mit der SPÖ. Richard Hogl, Landtagsabgeordneter der ÖVP
Genauso enorme Belastungen hätten die Forderungen der SPÖ bedeutet. „Ich glaube nicht, dass jemand so naiv sein kann“, vermutet Hogl reines politisches Kalkül hinter diesen Forderungen. „Nüchtern betrachtet“ werde mit Schwarz-Blau nun der Wählerwille abgebildet. „Demokratiepolitisch ist das in Ordnung und inhaltlich wesentlich vernünftiger als irgendein Kompromiss mit der SPÖ, die gar nicht will.“
Von rechten Sagern aus gewissen FPÖ-Ecken will sich Hogl „mit Nachdruck“ distanzieren. „Aber für diese Rülpser sind wir nicht verantwortlich und es ist immer lieb gesagt: Mit denen koaliert man nicht! Dann muss man zur Staatsanwaltschaft gehen und die Partei verbieten lassen oder dafür werben, dass sie nicht so viele Wählerstimmen bekommt. Demokratie gilt nach links genauso wie nach rechts und man muss lernen, dass man in der Politik mit jedem reden muss.“ Und: Mit der auf drei Landesräte angewachsenen FPÖ hätte es so oder so ein Arbeitsübereinkommen geben müssen.
Freiheitlicher ist froh, weil echte Veränderung anstehe
Michael Sommer wird mit seinen 26 Jahren der jüngste männliche Abgeordnete im Landtag sein. „Die FPÖ hat sehr hart und sehr erfolgreich verhandelt“, meint der Hollabrunner. Jetzt stehe echte Veränderung an. „Wir haben nicht den einfachen, dafür den ehrlichen, anständigen und fleißigen Weg gewählt.“
Wie dieser Weg aussieht? „Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für alle, die unter Freiheitseinschränkungen, Isolation, Angst, und Diskriminierung gelitten haben“, erklärt der designierte Abgeordnete und freut sich, dass Niederösterreich das erste Bundesland sei, das die Schäden der Corona-Politik wiedergutmache. „Das hat vor uns noch keiner geschafft und ist einzigartig in ganz Österreich.“
Als Meilenstein bezeichnet Sommer die „restriktive Asylpolitik“, die Niederösterreich für Wirtschaftsflüchtlinge möglichst unattraktiv machen soll. Weitere Erfolge, die der Freiheitliche nennt: „Wir haben uns im Arbeitsübereinkommen dem Sozialen und ganz besonders dem Kampf gegen die Preisexplosion verschrieben“, blickt er auf das Thema Teuerung. Außerdem werde an Straßenbauprojekten festgehalten; die FPÖ bekannte sich zum Verbrennungsmotor, weil: „In einem Flächenbundesland wie Niederösterreich sind unsere Landsleute auf das Auto angewiesen.“
Das sagen Bürgermeister und Mandatare zur Koalition
Die NÖN hörte sich auch bei den Bürgermeistern und Gemeinderäten im Bezirk um, wie sie zur schwarz-blauen Koalition stehen. Herbert Goldinger ist Bürgermeister von Mailberg, eine der beiden roten Gemeinden im Bezirk: „Mich nervt es, wenn vonseiten der ÖVP das Argument vorgebracht wird: ‚Zum Wohl des Landes‘. In Wirklichkeit geht es darum, den eigenen Machterhalt zu sichern und sonst nichts!“
Sein ÖVP-Amtskollege in Hadres ist ebenfalls überrascht: „Nach der Wahl war ich mir ziemlich sicher, dass es eine Regierung mit der SPÖ geben wird. Es hat mich überrascht, dass es anders gekommen ist. Aber, es sind alle Parteien demokratisch gewählt worden“, sagt Josef Fürnkranz.
ÖVP-Bürgermeister sind sich einig: Rote haben zu hoch gepokert
„Ich denke schon, dass man zusammengekommen wäre, aber Rot hat den Bogen meiner Meinung nach eindeutig überspannt“, kommentiert Göllersdorfs Bürgermeister Josef Reinwein (ÖVP) die neue Koalition. Immerhin werden damit zwei Drittel des Wählerwillens abgebildet. „Wichtig ist, dass in Zeiten wie diesen kein Stillstand entsteht“, solle die Arbeit so schnell wie möglich weitergehen. Was sagt Reinwein dazu, dass im Wahlkampf von beiden Parteien eine Zusammenarbeit ausgeschlossen wurde? „Das eine ist eben der Wahlkampf, da wird sehr viel von allen gesagt. Doch die Situation änderte sich am Wahlabend um 18 Uhr grundlegend ...“
Der Retzer Bürgermeister Stefan Lang ist zuversichtlich, dass Mikl-Leitner die Regierung als Landeshauptfrau weiterhin gut führen werde. Die Bürger haben die Volkspartei an erste Stelle und die FPÖ als zweitstärkste Partei gewählt „und diese Zusammenarbeit so gewollt“. Die Verhandler der SPÖ wollten sich laut Lang profilieren und hätten dabei zu hoch gepokert.
Für uns als ÖVP beginnt nun ein neues Zeitalter. Marlis Schmidt, EU-Gemeinderätin in Hollabrunn
„Jede Wahl bedeutet eine Veränderung“, meint der Retzer Stadtchef. Deutlicher formuliert es die Hollabrunner EU-Gemeinderätin Marlis Schmidt, die hinter Richard Hogl auf Listenplatz zwei für die ÖVP kandidierte: „Für uns als ÖVP beginnt nun ein neues Zeitalter.“ Sie sagt zwar „die Blauen sind halt die Blauen“, man müsse aber anerkennen, dass sie von 25 Prozent der Niederösterreicher gewählt worden sind. „Aus welchem Grund auch immer.“ Darum habe die ÖVP mit den Freiheitlichen verhandeln müssen. Für sie ist eines wichtig: „Die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und dem Land Niederösterreich muss passen, damit im Land etwas weitergeht – egal, welches Couleur oben sitzt.“
FPÖ-Vize wäre lieber unabhängiger geblieben
„Die Koalitionsvereinbarung zwischen ÖVP und FPÖ finde ich völlig unnötig“, kommentiert Alberndorfs Vizebürgermeister Manfred Baumgartner den Zusammenschluss. Für den Freiheitlichen ist klar: Da die FPÖ als zweitstärkste Partei im Land ohnedies den Landeshauptfrau-Stellvertreter und zwei Landesräte bekommen hätte, „wäre es besser, punktuell mitzustimmen und unabhängiger zu bleiben“.
Sitzendorfs Vizebürgermeister Florian Hinteregger (ÖVP) bedauert, dass „der Zusammenschluss mit den Sozialdemokraten nicht zustande gekommen ist“. Das Regierungsprogramm halte er aber für in Ordnung. Ähnlich sieht es Stefan Schröter: „Ich bin nicht ganz glücklich mit dieser Konstellation“, sagt der Ziersdorfer Vizebürgermeister (ÖVP) im NÖN-Gespräch. Auch er hätte lieber eine Koalition mit den Roten gesehen, aber: „Wir werden aber in jedem Fall für den Bürger weiter arbeiten.“ Der Heldenberger Vize, ebenfalls ÖVP, kommentiert die Lage knapp: „Mit diesem Arbeitsabkommen wird es spannend und herausfordernd.“