Texte aus der Wildnis: Auf Schritt und Tritt am Ufer der Thaya

Leonhard F. Seidl präsentierte Texte, die während seiner Zeit als „Artist in Residence“ im Nationalpark Thayatal entstanden sind. Nationalparkdirektor Christian Übl hob indes die Gemeinsamkeiten zwischen dem Thayatal und dem Taubertal hervor, wo Seidls Texte angesiedelt sind. „Sowohl die erlesenen Weine beider Regionen als auch die einzigartige Natur und die grenzüberschreitenden Aspekte machen Lust, die Region in Franken zu besuchen.“
„Im Rahmen des Nationalparks-Austria-Medienstipendiums verbrachte Seidl zwei Wochen auf einer abgelegenen Alm im Nationalpark Gesäuse. Am Fuße des Falkensteins lebte er als Nature Writer in einer Hütte im Nationalpark Bayerischer Wald“, stellte Rangerin Bernadette Lehner den Autor vor, der knapp zwei Wochen lang die Wege des Thayatals erkundet hatte. Er beeindruckte das Publikum mit seinem packenden Vortrag sowie seiner klaren, pointierten Sprache.
Von Esel „Hugo“ und einem Eisvogel bei der Gipsmühle
Seidl drang in sehr persönlichen Texten zu seiner und der Vergangenheit des Tals vor, befragte Menschen, hat „Steine, Erde, Pflanzen und Tiere lieben, benennen und damit enthüllen gelernt“, wie er schreibt. Er ging der Frage nach Nähe und Ferne nach, Geschichten von beiden Seiten der Grenze und der Natur.
Amüsiert lauschten die Gäste der Geschichte über den entlaufenen Esel „Hugo“, den Seidl vor zwei Jahren zusammen mit seiner Familie im Taubertal bei Rothenburg ob der Tauber eingefangen hatte. Als er von den schwierigen Zeiten nach der Trennung von seiner Frau berichtete, während der er in einer Gipsmühle lebte und den Eisvogel am Morgen beobachtete, hätte man eine Stecknadel in der Stadtbücherei fallen hören können.
Seidls Naturbeschreibungen sind von großer Präzision, die er mit den Geschichten der Menschen aus dem Thayatal und seinem persönlichen Erleben und seinen Erfahrungen zu literarischen Leckerbissen vereint. „Ich konnte Ihnen auf Schritt und Tritt am Ufer der Thaya folgen und habe es miterlebt, als wäre ich selbst dagewesen“, sagte eine der begeisterten Zuhörerinnen nach der Lesung.
Das Nature Writing ist übrigens eine aus dem angelsächsischen Raum stammende Gattung. Darin geht es sowohl um das Erleben des Autors in der Natur, wie auch um geschichtliche, naturwissenschaftliche und gesellschaftspolitische Aspekte. Da es derart Vielgestalt sei, gäbe es keinen treffenden deutschen Begriff dafür, am passendsten wäre wohl noch „Natur schreiben“. Als einer der Urväter gilt Henry David Thoreau, der über zwei Jahre in seiner selbstgezimmerten Hütte am Walden-See in Massachusetts lebte und Bohnen züchtete, um „dem wirklichen Leben“ näherzutreten.
Seidl verbringt nun zwei Wochen im Národní park Podyjí am Ufer der Thaya, um dort Geschichten von den Menschen und der Natur sammeln. Außerdem bietet er eine Nature-Writing-Schreibwerkstatt an.