„Nicht mein Anspruch, in der Wahlkabine jemanden zu heiraten“

Der eine fühlt Politikerinnen und Politikern auf den Zahn, der andere erklärt politische Zusammenhänge: ZIB 2-Moderator Armin Wolf und Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sind vom TV-Bildschirm nicht wegzudenken. Kennengelernt haben sie sich, als Armin Wolf bei Professor Filzmaier studierte. Jahre später haben sie nun zusammen ein Buch geschrieben, mit dem sie die politische Bildung der Landsleute verbessern wollen. Die NÖN sprach mit dem Duo über Wahlentscheidungen, die Frage, ob sie sich in Debatten immer einig sind, und die schwarz-blaue Zusammenarbeit in NÖ.
NÖN: Das Vertrauen in die Politik ist am Boden. Viele Menschen meinen, dass sie nicht wüssten, wen sie noch wählen sollen. Verstehen Sie, die sich tagtäglich mit Politik beschäftigen, diesen Frust?
Peter Filzmaier: Ich treffe meine Wahlentscheidung immer bewusst – als Wechselwähler. Ich mache sie also abhängig vom Wahlprogramm einer Partei. Sonst kann ich den Datenbefund nur bestätigen. Die Vertrauenswerte der Politik sind im Bereich des Waffenhandels und des ältesten Gewerbes der Welt. Einerseits ergibt das Möglichkeiten für neue Parteien. Das sehe ich in der Theorie positiv. In der Praxis zeigt sich aber auch, dass anders sein als die etablierten Parteien oft genügt. So bekommen bizarre Gruppierungen und Extremismus Chancen.
Armin Wolf: Ich habe nicht den Anspruch, in der Wahlzelle jemanden zu heiraten. Ich muss keine Partei finden, mit der ich zu 100 Prozent übereinstimme, ich wähle zur Not die, die mir am wenigsten fern ist. Es sind einem nie alle gleich fern. Darum verstehe ich nicht, dass Leute nicht oder weiß wählen. Den Frust an sich kann ich verstehen. Wir erleben seit 20 Jahren permanent Krisen. Früher war alles überschaubarer. Man war sich sicher, den Kindern wird es besser gehen als einem selbst. Diese Gewissheit ist weg. Schade finde ich aber, dass dieser Frust oft undifferenziert ist – im Sinne von „alle Politiker sind unfähig und Gauner“. Das stimmt nicht.
Was müssen Politiker tun, um das Vertrauen wieder zu stärken?
Filzmaier: Ein neues Wahlrecht oder mehr direkte Demokratie sind Symptombekämpfung. Es braucht Langzeitprojekte für vertrauensbildende Maßnahmen. Dazu gehört politische Bildung. Viele absurde Populisten oder mediale Inszenierungen würden sich bei mehr politischer Bildung selbst disqualifizieren. Außerdem bräuchte es mehr gelebte Qualitätskriterien der Politik, etwa im Bereich Transparenz. Wie einfach Transparenz ist, zeigt ein Beispiel aus NÖ: Wir haben hier Studien zur Landesentwicklung gemacht, und die vollen Datensätze online gestellt, weil sie mit Steuergeld bezahlt wurden. Für mich ist das ein in gesetzlicher Diskussion befindliches, richtiges Transparenzkriterium.
Wolf: Ich bin kein Politikberater.
Nein, aber Journalist. Und das Vertrauen in Journalistinnen und Journalisten ist kaum höher als in Politikerinnen und Politiker. Wie können Medien das verbessern?
Wolf: Das ist schwer und von seriösen Medien oft kaum beeinflussbar. Viel von diesem Vertrauensverlust liegt daran, dass heute jeder im Netz ein Massenmedium gründen kann. In vielen dieser „alternativen Medien“ geht's nur um Propaganda, Fake News, Verschwörungen oder Geschäftemacherei. Dagegen können seriöse Medien wenig tun. Wir müssen aber mehr Diskurs mit unserem Publikum führen, zuhören, auf Kritik reagieren und, wenn wir Fehler machen, offen damit umgehen.
Sie sagen, Sie wüssten nicht voneinander, was Sie wählen. Aber Sie unterhalten sich viel über Politik. Gibt es Punkte, bei denen Sie sich völlig uneinig sind?
Wolf: Ich wüsste kein Konfliktthema. Peter ist auch nicht für die Wiedereinführung der Folter, der Todesstrafe oder der Monarchie in Österreich.
Filzmaier: Solange wir das Thema Sport vermeiden, sind wir uns bei Grundfragen einig.
Mit Ihrem Buch wollen Sie über das politische System aufklären. Wissen die Österreicherinnen und Österreicher zu wenig über Politik? Ist das ein Versäumnis der Schule?
Filzmaier: Wir haben einen jahrzehntelangen Aufholbedarf an politischer Bildung. Nicht nur im Schulsystem, auch von der Jugendarbeit bis zur Erwachsenenbildung. Der historische Grund dafür reicht in die Nachkriegszeit zurück. Während man sich in Deutschland als Täterland gesehen und auf politische Bildung gesetzt hat, setzte sich in Österreich die Opfertheorie durch. Dabei hatten wir neben vielen Opfern auch 700.000 NSDAP-Mitglieder, darunter eine Menge übler Täter. Daraus hat man zu wenig Verpflichtung zu politischer Bildung abgeleitet. Später sind Parteiakademien entstanden. Die leisten zwar mehrheitlich gute Arbeit, aber politische Bildung kann nicht nur parteipolitische Bildungsarbeit sein.
Und im Journalismus? Medien haben auch einen Bildungsauftrag.
Wolf: Das Problem ist, wir machen alle News, das heißt Neuigkeiten. Natürlich setzen wir zu viel voraus, weil wir begrenzte Zeit oder Platz für einen Beitrag haben. Da können wir nicht jedes Mal erklären, wie das Parlament funktioniert. Das war für mich auch ein Grund für dieses Buch. Es ist eine Art Gebrauchsanweisung für die Nachrichten. Aber mir ist auch wichtig: In einer Demokratie ist ein gewisses Maß an politischer Bildung auch eine Holschuld. Wir dürfen mitbestimmen, da sollten wir uns auch informieren und nicht die Partei wählen, die das schönste Wahlplakat hat.
Sie sind für Ihren kritischen Interview-Stil bekannt. Dafür wurden Sie vielfach ausgezeichnet, einige Menschen stoßen sich aber daran, dass Sie Ihre Interviewpartner unterbrechen. Warum tun Sie das?
Wolf: Ich unterbreche nie jemanden, der in einer für ein TV-Interview üblichen Zeit ohne falsche Fakten meine Frage beantwortet. Die Menschen, die wir in die ZIB 2 einladen, sind Profis. Die können in einer Minute antworten. Sie machen es nicht, weil sie wissen, dass ich dadurch weniger fragen kann oder unterbrechen muss und das Publikum mich dann für einen respektlosen Rüpel hält. Das hilft dem Gast, wenn er inhaltlich nicht brilliert. Es gibt auch einen Unterschied zwischen älterem und jüngerem Publikum: Ältere finden das unhöflich, bei den Jüngeren kann man nicht oft genug unterbrechen.
Filzmaier: Ich unterbreche jetzt, um jünger zu wirken (lacht). Ich war ja auch schon ein paar Mal in der ZIB 2. Wenn man auf die Fragen von Armin Wolf antwortet, und das nicht in der Länge einer Uni-Vorlesung, ist es ein wunderbares Gespräch.
Im Buch schreiben Sie, dass Sie nach Interviews drei Mal von Politikern angebrüllt wurden. Einmal von einem ehemaligen Landeshauptmann. Aus Niederösterreich?
Wolf: Ein ehemaliger Landeshauptmann aus NÖ war der, der mich am längsten angebrüllt hat. Aber an sich sind die Leute Profis. Vielleicht sind sie nicht happy, aber sie sagen es mir nicht. Es wäre auch skurril, wenn sie beleidigt wären, weil ich kritisch frage. Das ist mein Job. Ich bin ja auch nicht beleidigt, wenn jemand nicht antwortet.
NÖ hat in der Landesregierung nun ein ÖVP-FPÖ-Arbeitsübereinkommen, im Bund dominiert FPÖ-Chef Kickl alle Umfragen. Wie erklären Sie sich den Zulauf der FPÖ?
Wolf: Für mich ist das überraschend und erklärbar zugleich. Ich hätte nicht geglaubt, dass die FPÖ vier Jahre nach Ibiza die stärkste Partei sein wird – erst recht nicht unter der Führung von Herbert Kickl. Und schon gar nicht hätte ich geglaubt, dass die ÖVP eine Koalition mit Kickl nicht mehr ausschließt. Dass die FPÖ jetzt so populär ist, ist aber auch erklärbar. Vor allem die Pandemie hat ihr geholfen. Maßnahmenkritiker und Corona-Leugner sind kein kleiner Teil der Bevölkerung und die FPÖ ist die einzige Partei, die sie anspricht.
Filzmaier: Zum Teil liegt das an der Kritik der Krisenpolitik und einer missglückten Krisenkommunikation von Corona bis hin zur Teuerung. Dadurch wenden sich viele von Regierungsparteien ab. Gleichzeitig haben die anderen Parteien selbst dafür gesorgt, dass die FPÖ-Skandale schnell vergessen werden. Die ÖVP hat die Chataffäre sowie Ermittlungen gegen eine Reihe von Politikern, die SPÖ ihre chaotische Führungsdebatte. Und Kickl hat zwar immer noch die niedrigsten Vertrauenswerte aller Spitzenpolitiker – abgesehen von Nationalratspräsident Sobotka. Aber unter den rund 30 Prozent, die FPÖ wählen, sind die meisten von ihm überzeugt. Das ist bei der SPÖ, wo es drei Lager gibt, und der ÖVP, wo einige noch Sebastian Kurz nach-trauen, anders.
Haben Sie schon eine Idee, wie die SPÖ-Führungsdebatte ausgeht?
Filzmaier: Ich hab' nicht die leiseste Ahnung. Es gibt keine validen Befragungen. Alle, die sagen, es zu wissen, haben Lust am Raten oder verfolgen ein strategisches Interesse mit der Behauptung.
Rechnen Sie damit, dass die Führungsfrage bald beendet ist?
Filzmaier: Auf der Medienbühne vielleicht, wenn man eine Restvernunft bewahrt. Dass die Bruchlinien hinter den Kulissen verschwinden, stelle ich mir schwierig vor.
In Ihrem Buch klingt Kritik am Proporz-System durch, das es in Niederösterreich noch gibt. Sollte das System, mit dem alle Parteien ab einer gewissen Stärke automatisch in der Landesregierung vertreten sind, abgeschafft werden?
Filzmaier: Aus politikwissenschaftlicher Sicht, ja. Es ist nicht mehr zeitgemäß. Der Proporz ist nach dem Februar 1934 entstanden, als die politischen Lager aufeinander geschossen haben. Dann hatten wir den Austrofaschismus, das Schreckensregime der Nazis. Da noch länger auf den Proporz zu setzen, um quasi alle politischen Parteien ab einer bestimmten Größe an einen Regierungstisch zu bringen, war damals sehr logisch. Die These war, wer an einem Tisch sitzt, spricht miteinander und schießt nicht aufeinander. Und, obwohl die Politik auch heute noch kontroversiell genug ist, so extreme Befürchtungen müssen wir nicht mehr haben. Außerdem besteht Demokratie aus dem Wechselspiel von Regierung und Opposition. Es ist zufällig in Niederösterreich derzeit nicht so, dass alle Landtagsparteien in der Regierung sind, aber in Oberösterreich war das bis 2021 der Fall. Eine der Hauptaufgaben des Landtags ist aber die Kontrolle der Regierung. Wenn es dort keine echte Opposition gibt, sondern nur Regierungsparteien, wie soll denn das dann funktionieren? Übrigens waren in Niederösterreich alle Parteien schon irgendwann mal für die Abschaffung des Proporzes, aber nie gleichzeitig. Und wenn man dann nachrecherchiert hat, warum wer dagegen war, dann dann hat ein möglicher persönlicher Vor- oder Nachteil durch die Proporzabschaffung die jeweilige Parteiposition dazu bestimmt.
Wolf: Der Proporz führt oft auch zu skurrilen Dingen. Der Bundeskanzler kann dem Bundespräsidenten jeden Minister und jede Ministerin zur Entlassung vorschlagen. Die Landeshauptfrau kann einen FPÖ-Landesrat nicht rauswerfen. Sie kann auch einen SPÖ Landesrat nicht rauswerfen, gegen den Willen der SPÖ, obwohl die nur rund 20 Prozent der Stimmen bekommen hat. Sie kann nur ihren eigenen Landesrat rauswerfen. Und noch ein Beispiel aus Niederösterreich: Die SPÖ hat einen ausgewiesenen Arbeitsmarktexperten als Parteiobmann, der jetzt in der Landesregierung sitzt, aber nicht die Arbeitsmarkt-Agenden hat. Das wäre nicht weiter ein Problem, wenn die SPÖ in der Opposition wäre, dann hätte sie keine Regierungsfunktion. Aber so hat sie einen Landesrat mit völlig sachfremden Zuständigkeiten. In Wien ist es noch skurriler, da haben die Parteien, die nicht in der Koalition sind, sogenannte „Nichtamtsführende Stadträte“ ganz ohne Kompetenzen. Sie bekommen ein sehr hohes Gehalt, haben ein schönes Türschild und dürfen in der Regierungssitzung zuhören, aber nicht mitreden.
Sie beginnen jedes Kapitel Ihres Buches mit der Erklärung über den größten Irrtum eines Teils des politischen Systems. Abschließend interessiert mich: Was ist der größte Irrtum generell über Politik?
Filzmaier: Der größte Irrtum und eigentlich eine Dummheit ist es, zu sagen, „Politik betrifft mich nicht“. Jeden interessiert, wie viele Steuern man zahlt. Junge Menschen interessiert, ab wann sie Moped fahren oder Sex haben dürfen. All das wird politisch entschieden. Deshalb sollte man sich auch für Politik interessieren.
Und über Journalismus?
Wolf: Der größte Irrtum über Journalismus ist, dass man ihn nicht mehr brauchen würde, weil sich heute jeder alles im Internet zusammensuchen kann. Und es gibt noch einen zweiten Irrtum, nämlich dass Medien wichtige Dinge verschweigen würden.
Herr Filzmaier, weil wir gerade beim Irrtum sind, lagen Sie in einer Ihrer Politik-Analysen schon einmal völlig falsch?
Filzmaier: Ich bin jedes Mal auf der Heimfahrt vom Studio unzufrieden, weil mir etwa nachher einfällt, was ich noch hätte sagen können. Das ist menschlich. Nahezu hilflos war ich bei fast allen Auftritten von Frank Stronach. Daran zerschellte jede Analysefähigkeit.