Heinz Haberfeld: „Medikamente für einen Monat daheim haben“

Erstellt am 04. November 2022 | 05:17
Lesezeit: 7 Min
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Apotheker mit Leib und Seele: Heinz Haberfeld.
Foto: Erich Marschik
Heinz Haberfeld, der Präsident der NÖ Apothekerkammer, über die Lieferengpässe bei den Medikamenten, über das Thema Blackout, über die Konkurrenz im Internet … und sollten Apothekerinnen/Apotheker impfen dürfen?
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NÖN: Sie sind seit 1. April 2022 Präsident der NÖ Apothekerkammer – wie geht es Ihnen?
Heinz Haberfeld: Danke, sehr gut! Ich hatte schon viele Kontakte, unter anderem mit Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Harald Schlögel, dem Präsidenten der NÖ Ärztekammer. Viele nette und interessante Antrittsbesuche bzw. Wiedererkennungsbesuche, ich war ja schon einmal Präsident der NÖ Apothekerkammer (von 1. Juli 2012 bis 30. Juni 2017 – Anm. d. Red.). Viele haben sich gefreut, dass ich diese Funktion wieder ausübe.

Laut der AGES sind aktuell um die 480 Präparate in Österreich nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Welche Rolle nimmt hier die Apothekerin und der Apotheker ein?
Haberfeld: Diese Lieferengpässe sind nicht wirklich neu, die gibt es schon seit vier, fünf Jahren. Die Situation hat sich aber durch Corona und den Ukraine-Krieg verschärft. Das grundsätzliche Problem ist, dass die überwiegende Produktion der Medikamente bzw. der Inhaltsstoffe aus Kostengründen nach Indien und China verlagert wurde. Und, dass es bei vielen Produkten nur mehr einen einzigen Hersteller gibt. Die Apothekerinnen und Apotheker verwenden täglich ein bis zwei Stunden, damit aus den Lieferengpässen keine Versorgungsengpässe werden. Das heißt: Wir kommunizieren mit dem Konsumenten, mit dem Patienten – und natürlich auch mit der Ärzteschaft. Das ist natürlich ein großer Zeitaufwand. Leider gibt es bei manchen Medikamenten keine Alternative. Die Firma Pfizer, der weltgrößte Pharmahersteller, kann das Schmerzmedikament Parkemed zum Beispiel nicht liefern. Wir haben derzeit auch Lieferengpässe bei Antibiotika. Und im Spitalsbereich sind manche Krebsmedikamente nicht lieferbar. Oder Lutschtabletten gegen Halsweh sind von manchen Firmen momentan nicht erhältlich. Wir tun diesbezüglich unser Bestes und können in 90 Prozent der Fälle auch helfen. Wir tun das als Serviceleistung für den Konsumenten, für den Patienten aus der ethischen Verantwortung heraus.

Das Thema Blackout beschäftigt uns alle. Wie gehen die Apotheken damit um?
Haberfeld: Ein äußerst wichtiges und zugleich komplexes Thema. Vier, fünf Stunden ohne Strom sollten die öffentlichen Apotheken schaffen, danach könnte es teilweise problematisch werden. Einige Apotheken haben eine Photovoltaikanlage, die dann auch mehrere Tage autark sein würden. Ich kann dennoch dringend raten, dass man die Medikamente, die man regelmäßig zu sich nehmen muss, für einen Monat daheim hat. Wir überlegen auch diesbezüglich eine Sensibilisierungskampagne. Ich bin mit Blackout-Beauftragten (Rotes Kreuz, Zivilschutzverband) permanent in Kontakt. Seitens der Apothekerkammer führen wir das Thema Blackout-Management mittlerweile auf der Prioritätenliste weit oben. Es wurde unter anderem beschlossen, unter Anleitung einer externen, auf Notfall- und Krisenmanagement spezialisierten Berateragentur ein Krisenvorsorgekonzept für die Apothekenbetriebe zu erstellen. Parallel zu der Beauftragung des Beratungsunternehmens tagen diverse Arbeits- und Projektgruppen, sowohl innerhalb der Apothekerkammer als auch mit externen Institutionen und dem Ministerium.

Gesundheitsminister Johannes Rauch spricht sich dafür aus, Apothekerinnen und Apothekern das Impfen der Bevölkerung in den Apotheken zu erlauben. Wie sehen Sie das?
Haberfeld: Es geht hier um Impfungen gegen Erkrankungen, die sehr infektiös sind, wie die Grippe und FSME. Corona natürlich auch. Es gibt 14 EU-Länder, wo Apotheken impfen dürfen, zudem auch in den USA, in Kanada und in Australien. Viele Konsumentinnen und Konsumenten sagen, wenn wir ihnen den Impfstoff übergeben: Können Sie nicht gleich die Impfung durchführen? Dann sage ich: Können schon, dürfen aber nicht. Es fehlt an den gesetzlichen Rahmenbedingungen, momentan scheitert es am Widerstand der Ärzteschaft. Wir haben derzeit in Österreich etwa 1.600 Kolleginnen und Kollegen, in Niederösterreich knapp 200, die eine spezielle Impfausbildung gemacht haben. Wir sind bereit dafür!

Thema Corona: Werden noch viele Gratistests von den Apotheken geholt?
Haberfeld: Die Nachfrage nach den Wohnzimmertests ist noch immer hoch. Meine Apotheke in Baden braucht ca. 1.000 Stück pro Monat. Im Monat September sind in Niederösterreich 253.000 Packungen über die Apotheken abgegeben worden. Diese großteils chinesischen Tests (fünf Gratistestkits pro Monat; für jede Person, die in Österreich versichert ist – Anm. d. Red.) werden derzeit bis Ende des Jahres kostenlos abgegeben. Antigentests gibt es weiterhin, aber nur gegen Bezahlung, das ist jetzt eine private Dienstleistung. Darüber hinaus gibt es auch künftig die PCR-Tests, unbegrenzt und kostenlos, wenn man zum Beispiel in ein Pflegeheim oder in ein Krankenhaus gehen muss. Und manche Apotheken machen auch das Freitesten! Die Apothekerinnen und Apotheker drucken übrigens kostenlos die Corona-Impfzertifikate aus.

Und wie schaut das mit den Covid-19-Medikamenten aus?
Haberfeld: Es gibt zwei Medikamente, die für den niedergelassenen Bereich vorgesehen sind, nach einem positiven PCR-Test. Beide, Paxlovid und Lagevrio, sind rezeptpflichtig. Das Problem ist hier: Wie kommt die Patientin bzw. der Patient zum Medikament? Das sollte nämlich relativ schnell sein. In Wien wird – nach einer ärztlichen Verordnung – das Medikament per Fahrrad zugestellt. Das stelle ich mir im Wein- und Waldviertel etwas kompliziert vor. Ich zum Beispiel habe eine Kooperation mit einem Taxiunternehmen. Das Medikament kann aber auch ein Angehöriger holen.

Wie geht es Ihnen mit dem E-Rezept?
Haberfeld: Die Einführung des E-Rezepts ist ein wichtiger Digitalisierungsschritt, der nach erfolgreicher Umsetzung Vorteile für alle bringt. Für die Apotheken bedeutet das E-Rezept eine Erleichterung bei der Abrechnung, den Wegfall der Archivierung der Papierrezepte und einen geringeren Beratungsaufwand zur Rezeptgebührenbefreiung. Leider sind die Einführung und der Betrieb des E-Rezepts noch alles andere als erfolgreich abgeschlossen. Es gibt in vielen Bereichen noch zahlreiche technische Probleme, an deren Lösung wir zusammen mit allen Partnern im Gesundheitssystem arbeiten. Eines ist aber ganz klar, und das möchte ich auch mit Nachdruck betonen: Wir Apothekerinnen und Apotheker haben einen Versorgungsauftrag und solange das E-Rezept noch nicht hundertprozentig funktioniert, braucht es Alternativen! Aktuell arbeiten wir mit beiden Systemen, dem E-Rezept und der E-Medikation. Ob bis Ende dieses Jahres die vollständige Umstellung auf das E-Rezept erfolgen wird, lässt sich aktuell noch nicht sagen, denn es fehlen nach wie vor etwa 7.000 E-Card-Lesegeräte, zudem sind einige ausgelieferte defekt.

Sind Shop-Apotheke & Co. für die traditionelle Apotheke eine Gefahr?
Haberfeld: Um die zwölf Prozent der Medikamente werden derzeit im Internet gekauft. Und Shop-Apotheke ist dabei ein großer Player. Aber keines dieser Unternehmen, egal ob Shop-Apotheke, DocMorris oder Zur Rose, hat bis dato positive Zahlen geschrieben. Die gehen mit Preisangeboten in den Markt, die die einzelnen Apotheken nicht schaffen. Hinter diesen Onlineshops stehen teilweise arabische Investoren, für die sind die Millionen Euro Verlust Spielgeld, außerdem geht es hier in erster Linie um die Daten der Konsumentinnen und Konsumenten. Den österreichischen Apotheken gehen durch die Online-Käufe ca. 150 Millionen Euro pro Jahr verloren. Es gibt aber auch eine Plattform, auf der rund 120 österreichische Apotheken online verkaufen – und die soll in den nächsten Jahren ausgebaut werden. Die Shop-Apotheke ist übrigens ein holländisches Unternehmen.

Die Apotheke als Nahversorger, wie wichtig ist die Apotheke am Land?
Haberfeld: Gerade im ländlichen Bereich ist die Apotheke ein Frequenzbringer und – wie insgesamt – ein wichtiger Arbeitgeber. Im ländlichen Raum haben wir sogar eine Kooperation mit der Österreichischen Post. Da hat es schon manchmal die Situation gegeben, dass Leute ihr Shop-Apotheke-Packerl von der Apotheke abgeholt haben. In Niederösterreich gibt es 250 Apotheken, mit ungefähr 1.000 Pharmazeuten. In Richtung tschechischer oder slowakischer Grenze gibt es viele ärztliche Hausapotheken, und das ist auch gut so, denn in den kleinen Ortschaften mit 1.000 Einwohnern kann eine Apotheke nicht existieren. Österreich ist innerhalb der EU übrigens ein Arzneimittelbilligland. Abschließend will ich noch betonen: Ich trete dafür ein, dass es eine gut funktionierende Kooperation zwischen Ärzte- und Apothekerschaft gibt, zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Ich habe auch grundsätzlich nichts gegen die ärztliche Hausapotheke. Sie soll aber nur dort errichtet werden, wo eine öffentliche Apotheke wirtschaftlich nicht existenzfähig ist. Die primäre Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ist Aufgabe der öffentlichen Apotheke, die der Ärzte die medizinische Versorgung.