Was das „Normal“ der VPNÖ wirklich bedeutet

Erstellt am 21. Juli 2023 | 12:55
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Normal - ein kleines Wort, das zurzeit alle politischen Debatten dominiert.
Foto: ShutterstockTypoArt BS
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Ein Begriff, der eigentlich aus der Psychiatrie und dem Recht kommt, bestimmt den bisherigen Politik-Sommer. Dass sich die Partei rund um Johanna Mikl-Leitner damit als „gemäßigte Mitte“ von FPÖ und SPÖ zu distanzieren versucht, leuchtet Politikwissenschaftler Peter Filzmaier ein. Er ortet dabei jedoch ein strategisches Problem.

Am Begriff „normal“ kommt man in Österreich zurzeit nicht vorbei. Grund dafür ist das neue Motto der Volkspartei Niederösterreich. Die Partei rund um Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat, wie berichtet, ihr „Miteinander“-Motto begraben und will jetzt „mehr Kante zeigen“ - für die „Normaldenkenden in der Mitte der Gesellschaft“. Das sorgt seit Tagen für Debatten. Zuletzt sprach sogar Bundespräsident Alexander Van der Bellen ein Machtwort in Richtung ÖVP, SPÖ und FPÖ - wohl nicht zuletzt aufgrund dieses Begriffes. Er warnte vor Ausgrenzung durch Sprache.

„Normal“ kann drei Bedeutungen haben

Aus der Sicht von Sprachwissenschaftlerin und Sprachsoziologin Ruth Wodak von der Universität Wien kann Ausgrenzung mit dem Wort „normal“ betrieben werden. „Das ist ein sehr wertgeladener und normativer Begriff“, erklärt sie. Etymologisch gesehen habe er drei Bedeutungen: Erstens das Gewöhnliche und Übliche, zweitens das Regelhafte bzw. den Normen entsprechende und drittens das geistig Gesunde.

In diesem Kontext hat der Begriff „normal“ seinen Ursprung in der Psychiatrie. Er wird hier als das Gegenteil von „krank“ oder „verrückt“ verstanden, meint die Wissenschafterin. Anders könne unter „normal“ das verstanden werden, was normativ geregelt ist - „nicht normal“ sei dann alles, was gegen geltendes Recht verstößt.

Außerdem werde mit Normalität auch Routine assoziiert, erklärt Wodak: „Der Begriff trägt eine Spur von Nostalgie, er betont das Altbewährte und ist neuen Entwicklungen gegenüber skeptisch.“ Fälschlicher Weise werde „normal“ mit der Bedeutung von dem in der Politik ebenfalls beliebten Begriff „Hausverstand“ vermischt, was laut Wodak aber den drei angeführten Bedeutungen widerspreche. Damit manifestiere sich jedoch eine gewisse Wissenschafts- und Expertenfeindlichkeit. Was genau als „normal“ erachtet wird, verändere sich laut der Sprachwissenschaftlerin laufend. Sie erklärt, dass etwa Homosexualität früher als „nicht normal“ gesehen wurden.

Ruth Wodak, Sprachwissenschaftlerin Uni Wien
Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak: „Der Begriff trägt eine Spur von Nostalgie, er betont das Altbewährte und ist neuen Entwicklungen gegenüber skeptisch.“
Foto: privat

Für Filzmaier wird die Mitte inhaltlich zu wenig definiert

Das Ziel, das die ÖVP mit der Verwendung dieses Begriffes verfolgt, ist für Politikwissenschaftler Peter Filzmaier klar: Sie will sich von der rechten FPÖ und der linken SPÖ abgrenzen. Dass sie die Mitte vertreten möchte, betont auch Mikl-Leitner stets selbst. Wen sie unter diesen „Normaldenkenden“ versteht, hat sie gleich nach der Ausgabe des neuen Mottos deutlich gemacht: Menschen, die arbeiten gehen, sich Eigentum schaffen wollen, die anderen helfen, an die Wissenschaft glauben und nicht in Extremen denken. Mikl-Leitner bezeichnet „normale“ Positionen als „vernünftige, sozial ausgewogene Positionen“, die zwischen den Extrempositionen der politischen Ränder stehen.

„Dass sich die VPNÖ als gemäßigte Mitte zu definieren versucht, ist quasi zwangsweise so, denn was sollte sie sonst tun? Die FPÖ rechts zu überholen, das geht ja bereits rein verkehrstechnisch nicht, wenn noch weiter rechts von Udo Landbauer oder Herbert Kickl nur noch die Leitplanke ist. Linker als eine SPÖ mit Andreas Babler kann sich eine christlich-konservative Partei noch weniger positionieren“, meint Filzmaier.

Er ortet jedoch ein Problem an der Strategie: Die Mitte werde inhaltlich zu wenig definiert. Es sei unklar, was man sich unter Bildungs-, Gesundheits- oder Umweltpolitik der Mitte vorstellen könne. Statt einer detaillierten Darstellung des eigenen Denkens mache man es sich etwas zu einfach, sich selbst als Normaldenkende und Andersdenkende somit indirekt als Obskuranten oder gar als Extremisten darzustellen, meint er.

Politologe Peter Filzmaier
Für Peter Filzmaier liegt die Positionierung der ÖVP als "gemäßigte Mitte" auf der Hand.
Foto: A+W

Auch andere Parteien nutzen die Sprache zur Abgrenzung

Zu beobachten ist dieses Phänomen jedoch nicht nur bei der VPNÖ, weiß Filzmaier. „Die FPÖ stellt sich immer wieder als 'für das Volk sprechend' dar, und 'die da oben' wären die Bösen. Was kurios ist, da man ja selbst Teil der politischen Elite ist. Die SPÖ spricht unter Babler von 'unsere Leute' und muss endlos lange und umständlich erklären, dass man das ja auf keinen Fall ausgrenzend meinen würde“, analysiert er. Da schwinge überall mit, dass es irgendwelche Anderen geben würde, die nicht dazugehören, seltsam wären oder von denen für die Gesellschaft eine große Gefahr ausgehen würde. Durch einen solchen „gemeinsamen Außenfeind“ werde „Einigkeit“ in der Gruppe erzeugt, erklärt Filzmaier.