EVN kündigt 300.000 Kunden, um sie zu halten

Erstellt am 10. März 2023 | 12:01
Lesezeit: 5 Min
EVN Symbolbild
Die "Optima Klassik"-Tarife waren bis Ende Jänner laut E-Control Tarifkalkulator die günstigsten Tarife in Niederösterreich. Jetzt nicht mehr.
Foto: APA, HELMUT FOHRINGER
Statt wie befürchtet die Tarife per 1. April anzuheben, kündigt der Landesenergieversorger rund 300.000 Strom- und Gas-Bestandskunden mit „Optima Klassik“-Tarifen und macht ihnen via eingeschriebenen Brief ein Neuangebot. Die Verwerfungen am Energiemarkt im Vorjahr machten diesen Schritt notwendig, heißt es aus der EVN AG. Sonst würden sich die Tarife der „Optima Klassik“-Kunden verdoppeln.
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Als beliebtes NÖ-Wahlkampfthema waren die EVN-Tariferhöhungen per 1. April zuletzt eine Negativschlagzeile und Schreckgespenst, mit dem viel Furore gemacht wurde. Zur Überraschung vieler kündigt nun die EVN AG alle „Optima Klassik“-Verträge auf und macht den betroffenen 300.000 Strom- und Gas-Bestandskunden - das sind etwa 40 Prozent aller EVN-Kunden- via eingeschriebenen Brief ein Neuangebot.

Hintergrund: Energiemarkt-Verwerfungen und Kopplung mit Preisindices

Die Folgen der Verwerfungen am Energiemarkt im Vorjahr, deren Höchstpreise jetzt bei Endkunden aufschlagen, haben den Landesenergieversorger zu diesem Schritt bewegt. Dadurch, dass die „Optima Klassik“-Tarife aus „Transparenz und Symmetrie-Gründen“ an den Österreichischen Strom- und Gaspreisindices (ÖSPI und ÖGPI) gekoppelt sind, würden sich ohne dieses Manöver der EVN vertragstechnisch diese Tarife mit 1. April verdoppeln. Nach den geltenden Allgemeinen Lieferbedingungen der „Klassik“-Tarife ist eine zweimalige Anpassung im Jahr nach oben und nach unten vorgesehen. Das würde eben per 1. April den Strompreis für diese Kunden von 26,9 auf 50 Cent netto verteuern. Der Gastarif würde um 65 Prozent von 12 auf 19,7 Cent netto steigen.

Stefan Zach EVN Sprecher
Stefan Zach ist Pressesprecher der EVN AG.
Foto: EVN, Matejschek

Diese Anpassungsmechanismen sind bei den aktuellen Verwerfungen auf den Energiemärkten schwierig, daher wollen wir nun die Partnerschaft mit unseren Kundinnen und Kunden erneuern. EVN Sprecher Stefan Zach

„Diese Anpassungsmechanismen sind bei den aktuellen Verwerfungen auf den Energiemärkten schwierig, daher wollen wir nun die Partnerschaft mit unseren Kundinnen und Kunden erneuern”, sagt EVN Sprecher Stefan Zach im Gespräch mit der NÖN. Alle betroffenen Kunden bekommen in den nächsten Wochen die Vertragskündigung mit dem Neuangebot via Post zugesendet. Aus konsumentenschutzrechtlichen Gründen könne eine Umstellung nicht automatisch erfolgen, man brauche eine aktive Zustimmung zu dem Vertragsangebot. „Wir brauchen hier Rechtssicherheit“, erläutert Zach.

Die ersten Briefe erreichen die Kundinnen und Kunden Mitte März. Der Versand erfolge in Tranchen. Die Umstellung soll „zeitnahe“ abgewickelt werden. Die EVN wolle jedenfalls auf allfällige Anrufe, E-Mails oder Besuche rasch reagieren, sagt der EVN-Sprecher, der mit einer erhöhten Zahl an Anfragen rechnet.

Neues Tarifangebot mit 12-monatiger Preisgarantie und Vertragsbindung

Der Landesenergieversorger will nun seine „Klassik“-Bestandskunden, die zum Teil schon 25 Jahre oder länger ihren Strom bzw. Gas von der EVN beziehen, zum Umstieg auf einen „attraktiven“ Neutarif mit einjähriger Preisgarantie und Vertragsbindung bewegen. Im Vergleich zum auslaufenden „Optima Klassik“-Tarif ist bei dem angebotenen Neutarif, dem „Optima Garant Natur 12“, der monatliche Grundpreis etwas höher (Strom: + 1,98 Euro; Gas: + 3,20 Euro), der Arbeitspreis ist hingegen etwas günstiger (Strom: - 0,4 Cent/kWh; Gas: - 0,25 Cent/kWh).

Für einen durchschnittlichen Kunden mit einem Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden Strom und 15.000 Kilowattstunden Gas ändere sich damit praktisch nichts. “Mit diesem neuen Angebot können wir die Preise über den kommenden Winter stabil halten. Das bringt sowohl unseren Kundinnen und Kunden, als auch uns als Unternehmen Sicherheit in diesen unsicheren Zeiten”, so Zach.

Wer das Tarifangebot der EVN AG nicht annimmt, nicht rechtzeitig in einen anderen Tarif oder zu einem anderen Energielieferanten wechselt, muss nach Ende Juni mit einer Abschaltung durch die Netz NÖ rechnen. Je nach Entwicklung der Großhandelspreise am Energiemarkt und des Ukraine-Konflikts, können die Strom- und Gaspreise im Laufes des Jahres weiter steigen oder auch weiter sinken. Steigen die Preise, ist möglicherweise ein Tarif mit Preisgarantie sinnvoller. Sinken sie aber, könnten Endkunden mit sogenannten „Float“-Tarifen, die monatlich preislich an die Großhandelspreise bzw. an den ÖSPI/ÖGPI angepasst werden, ihr Strom bzw. Gas günstiger beziehen.

EVN tourt mit Bus durch ganz Niederösterreich

Die Kunden können das Tarifangebot, das im Brief mit der „Klassik“-Vertragskündigung mitverschickt wird, mit einer Unterschrift annehmen und via vorfrankierten Rücksendekuvert an die EVN retournieren. Auch eine Online-Vertragszeichnung, telefonisch im EVN-Callcenter oder persönlich in einem Servicecenter, ist möglich.

Um alle Kundinnen und Kunden zu erreichen, tourt die EVN erneut mit Bus und Beratung durch die einzelnen Gemeinden Niederösterreichs. „Vor allem ältere Menschen, aber auch Menschen mit sprachlichen Barrieren bevorzugen häufig den persönlichen Kontakt gegenüber dem Online-Angebot“, sagt Zach. „Gerne unterstützen wir beim Ausfüllen der Online-Formulare.“

Höchstpreise bei Gas und Strom aus dem Vorjahr kommen beim Endkunden an

Viele Energieversorger, darunter die EVN AG, berechnen ihre Tarife auf Basis einer Kopplung mit dem Österreichischen Strompreisindex (ÖSPI) bzw. Österreichischen Gaspreisindex (ÖGPI). Die Indices werden wiederum von der Österreichischen Energieagentur (ÖEA) berechnet. Mit einer Verzögerung von einigen Monaten kommen dadurch die Höchstpreise auf den Energiemärkten aus dem Vorjahr - bei Gas bis zu 337 Euro/MWh Ende August 2022, bei Strom 514,5 Euro/MWh im 4. Quartal 2022 - nun auch bei den Endkunden an.

Österreichischer Gaspreisindex ÖEA
Der Österreichische Gaspreisindex (ÖGPI) fällt im März 2023 im Vergleich zum Vormonat Februar um 21,2 Prozent. Gegenüber März 2022 liegt er um 16,9 Prozent niedriger
Foto: Österreichische Energieagentur

Der ÖGPI zeigt an, um wie viel Prozent sich der Großhandelspreis für Erdgas im kommenden Monat gegenüber der Basisperiode verändert.

ÖSPI Energieagentur
Der Österreichische Strompreisindex (ÖSPI) bildet nur die reine Energiekomponente ab. Im Vergleich zum März des Vorjahres 2022 liegt der ÖSPI um 191,2 Prozent höher.
Foto: Österreichische Energieagentur

Der ÖSPI zeigt an, um wie viel Prozent sich der Einkaufspreis an der Börse für Strom im kommenden Monat gegenüber der Basisperiode, dem Vormonat und dem Vorjahr auf Grundlage eines fiktiven Beschaffungsverhaltens verändert. Der Durchschnitt der Strompreise aus dem Jahr 2006 ist die Ausgangsbasis für den Strompreisindex.