Sind Streiks für Gehaltserhöhungen legitim?

Pro: Linda Keizer, Landessekretärin des ÖGB Niederösterreich (Österreichischer Gewerkschaftsbund)

Ja, Streiks für Gehaltserhöhungen sind legitim! Wichtig ist, sie sind unser letztes Mittel. Wir verwenden sie als Gewerkschaft nur dann, wenn Unternehmen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht ernst nehmen und wenn alle Verhandlungen und Schlichtungsversuche gescheitert sind. Erst dann kommt der Arbeitskampf, der Streik.
In Österreich herrscht Streikfreiheit. Streik und die Streikteilnahme sind verfassungsrechtlich geschützt. Streiken ist daher in Österreich erlaubt und nicht strafbar. Kündigungen, die aufgrund der Teilnahme an einem Streik erfolgen, sind rechtswidrig und müssen vom Arbeitgeber zurückgenommen werden.
Im EU-Vergleich liegt Österreich in der Streikstatistik auf den untersten Plätzen. Zwischen 2011 und 2021 kam in Österreich auf 1.000 Beschäftigte im Jahresdurchschnitt nur ein Ausfalltag. In Deutschland waren es 18 Ausfalltage. Traditionelle Europameister im Streik sind Belgien und Frankreich mit 96 beziehungsweise 92 Ausfalltagen. Grund für die wenigen Streiks hierzulande: Die Kollektivvertragsverhandlungen der Gewerkschaften funktionieren sehr gut!
Kontra: Andreas Ludwig, Vorstandsmitglied der Industriellenvereinigung Niederösterreich

Wir vonseiten der Unternehmen verstehen den Wunsch der Belegschaft nach höheren Löhnen. Doch gerade Österreich ist kein Land, in dem in der Vergangenheit häufig gestreikt wurde. Vielmehr ist es die Ausnahme. Zwischen 2012 und 2021 gab es in Österreich pro 1.000 Arbeitnehmenden nur einen Ausfalltag aufgrund eines Streiks, wie die deutsche Hans-Böckler-Stiftung ermittelte. Und das ist auch gut so. Denn die Abwesenheit einer Streikkultur, wie sie in anderen Staaten existiert, war schon immer ein wesentlicher Punkt für Investitionsentscheidungen in unserem Land.
Über die vergangenen Jahrzehnte hinweg sank das Produktivitätswachstum in Österreich, was die Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich zu den hohen Standortkosten belastet. Geld und Investitionen und damit sichere Arbeitsplätze gehen aktuell vermehrt nach Nordamerika oder in andere Weltregionen, da diese momentan wettbewerbsfähiger als Europa und Österreich sind. Die Sicherheit, dass in Österreich eine verlässliche Sozialpartnerschaft existiert, die über Jahrzehnte den Interessensausgleich sichergestellt und Streiks damit verhindert hat, ist eines der letzten stichhaltigen Argumente für den Wirtschaftsstandort Österreich.