Christian Hiel im Interview: „Rettungsdienst ist Abenteuer im Leben“

„Die sozialen Dienste sind in Österreich ohne engagierte Freiwilligenteilnahme nicht durchführbar“ ist sich Christian Hiel, Obmann des Arbeitersamariterbunds (ASBÖ) Purkersdorf sicher.
Die derzeitige Lage rund um die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg macht die Suche nach Nachwuchs in der Region nicht leicht. Die NÖN bat Christian Hiel zum Gespräch über die aktuellen Herausforderungen und die Aufgaben eines Freiwilligen beim Samariterbund.
NÖN: Wie werden Freiwillige für den Dienst beim Samariterbund Purkersdorf gewonnen?
Christian Hiel: Die meisten Freiwilligen kommen zum Samariterbund, nachdem sie den Zivildienst oder ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei uns absolviert haben. Wenn sie begeistert sind, bleiben sie für eine gewisse Zeit.
Was heißt „für eine gewisse Zeit“?
Hiel: Das hat mit dem Alter zu tun. Es entwickelt sich das Leben weiter. Die jungen Freiwilligen sind dann beruflich oder in der Ausbildung gebunden oder sie gründen eine Familie. Damit verschieben sich dann aber auch die Prioritäten und das Zeitbudget ändert sich. Der freiwillige Dienst rückt in den Hintergrund und viele entscheiden sich schlussendlich dafür, den Samariterbund Purkersdorf zu verlassen.

Welche Anforderungen werden zu Beginn an die Freiwilligen gestellt?
Hiel: Ein wesentliches Faktum ist, dass beim Rettungsdienst ein hohes Ausbildungsniveau verlangt wird. Das beginnt in der Ausbildung zum Rettungssanitäter. Außerdem schauen wir hier bei uns in der Dienststelle in Purkersdorf genau darauf, dass die Freiwilligen auch die Weiterbildung zum Notfallsanitäter bekommen. Der Zeitaufwand, der dafür notwendig ist, ist für jemanden, der bereits berufstätig ist, relativ schwer aufzubringen.
Wie sieht die Ausbildung konkret aus?
Hiel: Hier gibt es in unserer Akademie in Wilhelmsburg Blockkurse und berufsbegleitende Kurse. So dauert die Ausbildung zum Rettungssanitäter insgesamt 280 Stunden, die sich auf 120 Stunden Theorie und 160 Stunden Praktikum aufteilen. Dort fahren sie mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen mit, um das Erlernte nun in der Praxis sehen bzw. anwenden zu können. Danach gibt es eine kommissionelle Endprüfung. Wenn die bestanden ist, dürfen sie als selbstständige Rettungssanitäterinnen bzw. Rettungssanitäter freiwillig arbeiten. In weiterer Folge kann man sich auch zur Notfallsanitäterin bzw. zum Notfallsanitäter fortbilden. Hier kommen nochmals 160 Stunden Theorie, 280 Stunden Praktikum am Fahrzeug und 40 Stunden Praktikum im Krankenhaus dazu. Für beide Fälle müssen dann alle zwei Jahre eine 16-Stunden-Fortbildung und eine erfolgreiche Rezertifizierung nachgewiesen werden.
Wie oft müssen Dienste absolviert und Prüfungen abgelegt werden?
Hiel: Pro Jahr muss eine gewisse Stundenanzahl an Diensten gemacht werden, konkret sind das 144 Stunden pro Jahr. Darauf haben wir uns jetzt intern geeinigt. Damit können wir uns sicher sein, dass die Erfahrung da ist. Wir legen schon Wert darauf, dass eine gewisse Regelmäßigkeit stattfindet, weil sich auch die Begebenheiten laufend ändern.
In welchen Bereichen können Freiwillige unterstützen?
Hiel: Einerseits im Rettungsdienst. Grundsätzlich arbeiten wir hier in 12-Stunden-Diensten. Berufstätige haben hier etwa die Möglichkeit, Nachtdienste und Wochenenddienste zu absolvieren.
Die zweite Säule neben dem Rettungsdienst ist der soziale Dienst. Hier geht es hauptsächlich um Essen auf Rädern. Hier brauchen wir immer wieder Menschen, die einen Führerschein und vor allem Zeit haben. Wir liefern tagsüber um die 60 Essen aus in drei Touren in Purkersdorf und Umgebung und Mauerbach.
Wie viele Freiwillige gibt es derzeit in Purkersdorf?
Hiel: Wir haben bei uns auf der Dienststelle aktuell zwischen 90 und 95 Freiwillige, die regelmäßig fahren. Speziell in der Corona-Zeit hat sich die Motivation verändert und die Prioritäten haben sich verschoben.
Inwieweit hat die Corona-Pandemie das Freiwilligenwesen beeinträchtigt?
Hiel: Die Überlegungen bei den Menschen, ob sie ins Freiwilligenwesen einsteigen soll, haben sich erhöht. Die privaten Bedingungen haben sich verändert, die psychischen Belastungen zugenommen. Generell hat die Pandemie die Menschen viel Energie und Kraft gekostet. In der Zeit haben auch einige wenige aufgehört, andere sind dafür gekommen und haben gefragt, wo sie helfen können.
Welche schönen Seiten hat der freiwillige Dienst?
Hiel: Das Schöne ist der Menschenkontakt – und zwar unter außergewöhnlichen Bedingungen. Es ist schon etwas, das Erfahrungen bringt, die man als „Normalsterblicher“, der draußen unterwegs ist, nicht hat. Neben dem Teamgeist ist auch der soziale Kontakt im Haus ein wichtiges Spektrum. Und auch, mit Sachen konfrontiert zu werden, die manchmal sehr nahe gehen. Für solche Fälle haben wir aber vorgesorgt.
Inwieweit hat der ASBÖ hier vorgesorgt?
Hiel: Wir haben Peer-Programme, wo Sanitäter zu Peers ausgebildet werden. Diese Peers unterstützen ihre Kolleginnen und Kollegen nach schwierigen Einsätzen und versuchen, ihre Sorgen abzufangen. Wenn ein junger Sanitäter oder eine junge Sanitäterin zum ersten Mal zu einer Reanimation kommt oder mit einer schweren Verletzung konfrontiert ist, werfen wir besonders ein Auge darauf.
Was braucht es, um im Freiwilligenwesen Fuß zu fassen?
Hiel: Man muss es wirklich wollen. Der Rettungsdienst geht nicht so nebenbei. Da gehört schon ein gewisses Herz dazu. Man braucht Mut, da hineinzugehen, man braucht aber auch die Fähigkeit der Abgrenzung. Die Aufgabe ist, Mitgefühl zu zeigen, aber niemals Mitleid. Und man muss es wirklich wollen.
Wie würden Sie den Rettungsdienst beschreiben?
Hiel: Es ist ein Abenteuer – aber nicht im Film, sondern ein Abenteuer im Leben.