Wie das Protestcamp 1984 Fischamends Wasserversorgung rettete

In der vergangenen Gemeinderatssitzung erkundigte sich Zoran Stojanovic von der SPÖ über den Grundwasserstand in der Fischastadt, worauf Bürgermeister Thomas Ram (RAM) versicherte: „Fischamend ist von keiner Wasserknappheit bedroht. Mit mir als Stadtoberhaupt bleibt das Wasser in Fischamend in Gemeindebesitz“. Dabei meldete sich Gemeinderat Erich Strauss (Liste Schuh) zu Wort und meinte: „Ohne uns, die die Hainburger Au verteidigt haben, könnten wir gar nicht mehr aus diesen Brunnen trinken“. Im NÖN-Gespräch klärt er auf:
NÖN: Herr Strauss, was hat der Protest in der "Hainburger Au“ mit der Wasserversorgung in Fischamend zu tun?
Erich Strauss: In der Hainburger Au befinden sich mehrere Brunnen, welche die Stadtgemeinde mit Trinkwasser versorgen. Diese werden im Nationalpark Donau-Auen vom Donau-Begleitstrom gefüllt. Von dort aus wird das Wasser in das nahe gelegene Pumpwerk bis zum Wasserturm in Fischamend gepumpt und mit dem Druck des Eigengewichts an die Haushalte Fischamends geleitet.
Und diese Brunnen waren gefährdet?
Strauss: Ja, in Hainburg war der Bau eines riesigen Kraftwerkes geplant, mit einer 14 Meter hohen Staumauer, um die Donau bis knapp vor den Toren Wiens zu stauen. Und die Brunnen, aus denen wir heute noch unser Trinkwasser beziehen, wären durch das gestörte Ökosystem mit Bakterien verseucht worden. Dies hätte zur Folge gehabt, dass das Wasser dort durch Verschmutzung unbrauchbar geworden wäre. Dies war auch der Grund, warum ich mich der Protestbewegung 1984 angeschlossen habe.
Und durch diese Protestbewegung entstanden die ersten Camps in der Hainburger Au. Wie ist es dazu gekommen?
Strauss: Ausgegangen ist das alles von den Studenten. Die hatten oft mehr Zeit und Ressourcen, um sich unter anderem mit gesellschaftlichen Verfehlungen zu beschäftigen. Während einer Demonstration mit über 8.000 Teilnehmern, welche aufgelöst wurde, haben sich ein paar der Demonstranten in die Au begeben und sind von dort einfach nicht mehr weggegangen. Das war am 8. Dezember.
Und dann schlossen sich mehr an?
Strauss: Genau. Im Laufe der Zeit kamen sukzessiv immer mehr Menschen dazu und in den Camps waren auf einmal alle Schichten der Gesellschaft vertreten. Das Ziel war nach wie vor, die Holzfäller an ihrer Arbeit zu hindern. 4 Hektar wurden gerodet, weiter sind sie nicht gekommen. Die umliegende Bevölkerung hat die Camps -es gab etwa fünf im ganzen Augebiet- mit Nahrung und Strohballen versorgt, weil viele gegen den Staudamm waren. Ich schätze, dass sich über 1.000 Personen auf die fünf Camps verteilten. Zwar nicht dauerhaft, denn es war bei vielen ein Kommen und Gehen. An den Wochenenden waren zum Beispiel mehr Menschen in der Au.
Sie haben also auch Rückhalt erfahren. Wie hat Ihr Umfeld reagiert als Sie erzählt haben, dass Sie im Camp mitmachen?
Strauss: Es gab gemischte Reaktionen. Die einen haben mir gut zugeredet und es toll gefunden, die andere Seite hat mich gefragt, ob ich völlig deppert geworden bin. Auch bei meinem damaligen Arbeitgeber hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Die hätten dort große Aufträge erwartet. Mein Bauleiter dort hat uns sogar mit der Kündigung gedroht. Doch das ist nie passiert.
Sie waren also zu dieser Zeit berufstätig. Wie war das mit der Besetzung zu vereinbaren?
Strauss: Ich war damals 27 Jahre alt und arbeitete als Monteur in der Raffinerie Schwechat. Weil ich immer wieder in die Arbeit musste, verbrachte ich nur am Wochenende meine Zeit in der Hainburger Au und schlief dort zwei, drei Nächte. Ich habe noch nicht einmal ein Jahr dort gearbeitet, also Urlaub gab es keinen und gerade für diese Thematik nicht.
Wie sind Sie auf das Protestcamp aufmerksam geworden?
Strauss: Einerseits durch die mediale Aufmerksamkeit, die diesbezüglich immer größer wurde und andererseits durch meinen damaligen Mentor Roland Schuh. Ich war schon in jungen Jahren an der Kommunalpolitik interessiert und dadurch habe ich mich auch dafür begeistern können.
Wie kann man sich das Leben in einem Protestcamp vorstellen? Was tun die Menschen dort den ganzen Tag?
Strauss: Kurz gesagt: unter Anführungszeichen „idyllisch“, aber sehr kalt. Damals hatte es bis zu -15 Grad. Die Leute dort verbrachten ihre Zeit mit Diskussionen, Gitarre spielen und auf die nächste Prügelaktion warten. Wie gesagt, sind wir von der umliegenden Bevölkerung versorgt worden. Also wurde gegrillt oder Gulasch gegessen.
Und wie haben die BewohnerInnen geschlafen, geschweige denn sich gewaschen?
Strauss: Sie haben entweder in Zelten oder in mit Stroh ausgelegten Erdhöhlen geschlafen. Wir hatten sogar einen Ofen mit Abzug. Es hatte etwas von einem Aussteigerleben. Das mit der Körperhygiene war bei minus 15 Grad eher zweitrangig. Manche haben sich sporadisch mit Schnee gewaschen, aber jeder konnte kommen und gehen, wie er wollte. Der harte Kern war den ganzen Monat dort, das waren aus Fischamend etwa 15 Personen. Darunter Roland Schuh.

Roland Schuh war damals KPÖ-Gemeinderat. Wie war die Position der restlichen Fraktionen im Gemeinderat von Fischamend?
Strauss: Als KPÖ wollten wir eine Bürgerbefragung diesbezüglich in Fischamend starten, aber das wurde wiederholt im Gemeinderat abgelehnt. Damals regierte die absolute Mehrheit der SPÖ unter Johann Besin. SPÖ, ÖVP und einer aus der FPÖ waren allesamt für die Staumauer im heutigen Naturschutzgebiet.
Am 19. Dezember kam es zu Ausschreitungen mit der Exekutive. Blieb es bei der einen oder gab es schon davor Probleme?
Strauss: Wirkliche Gewalt gab es vor dem 19. keine. Nur das Wochenende davor versuchte ein roter Gewerkschafter die Arbeiter gegen uns aufzuhetzen. Er ermunterte sie, mit Prügel und Latten in die Au zu gehen und dort für „Ordnung“ zu sorgen. Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Wortlaut, aber er meinte im Arbeiterkammersaal in Hainburg so etwas wie „Kämpft`s um eure Arbeitsplätze. Egal womit“. Der damalige Innenminister Karl Blecha und Bundeskanzler Fred Sinowatz verhinderten dort schon ein Blutbad.
Und dann kam der 19. Dezember. Was haben Sie an diesem Tag gemacht?
Strauss: Am 19. habe ich in der Arbeit mitbekommen, dass etwas seitens Gendarmerie geplant war. Das war der Tag der Eskalation. Ich bin damals erneut trotz Kündigungsdrohung von der Arbeit in die Au gefahren. Leider -oder Gott sei Dank- war das Gebiet schon abgeriegelt und ich konnte nicht mehr zu den Camps durch. Dort wurde mir von einigen Beamten gedroht, ich solle näher kommen, um mir auch „ein paar abzuholen“.
Wie konnte es zu einer derartigen Eskalation überhaupt kommen?
Strauss: Anscheinend wurden Beamte aus weiterer Entfernung eingefahren, da die keine persönliche Beziehung zu den Menschen in den Camps hatten. Man kannte sich ja. Und Fremde konnten auch dementsprechend rücksichtsloser durchgreifen. Also kamen sie, mit Schild, Stock und Helm.
Und haben sich die CampbewohnerInnen gewehrt?
Strauss: Die Demonstranten antworteten mit einer Sitzblockade. Die, die sich nicht gewehrt haben, wurden weggetragen, die anderen haben sie geprügelt. Eine italienische Journalistin, die dort berichtet hat, kam blutüberströmt mit einer Platzwunde raus. Von Strafverfolgungen wegen Polizeigewalt habe ich danach nichts mitbekommen.
Wie ging es danach weiter?
Strauss: Ein von Sinowatz ausgerufener Weihnachtsfrieden am 22. Dezember hat das Ganze schließlich beendet. Anfangs waren wir misstrauisch. Ich meine, wie denn auch nicht, wenn man drei Tage vorher geprügelt wird? Also haben sich einige gedacht, sie warten erst einmal ab. Nach Weihnachten bemerkte man aber auch eine Versöhnlichkeit mit den Gendarmen aus näherer Umgebung. Die besuchten teilweise das Camp, saßen mit den Demonstranten am Lagerfeuer und aßen mit. Alles in Uniform. Am 8. Jänner war dann alles vorbei. Da sind die letzten Camp-Bewohner gegangen, darunter auch Roland Schuh.
Das werden Sie Sinowatz wahrscheinlich zugutehalten. Wer hat die Bewegung sonst noch vertreten?
Strauss: Ja. Zuerst wollte auch Sinowatz das Kraftwerk, aber er hat sich dann doch für Deeskalation entschieden. Die Protestbewegung wurde unter anderem von Bernd Lötsch und Günther Nenning vertreten. Letzteres hat damals auch das Konrad-Lorenz Volksbegehren mitinitiiert. Konkret ging es darum, dass anstatt eines Staudamms ein Naturschutzgebiet in der Hainburger Au errichtet wird. Das habe alle von uns selbstverständlich unterschrieben.