Die Geschichte vor der Haustür

Mehr als 40.000 Jahre niederösterreichischer Historie warten im Haus der Geschichte auf Besucher, die wissen möchten, was in der Keltenzeit, bei den Römern, im Mittelalter und bis ins 20. Jahrhundert in Niederösterreich geschehen ist. Einen umfassenden Einblick in den historischen Werdegang des Bundeslandes – auch im Kontext der zentraleuropäischen Entwicklung – geben 2.000 Objekte auf 3.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Allein 200 stammen aus den Dachböden und Kellern der Niederösterreicher, die dem Aufruf gefolgt waren, dem Haus ihre historischen Schätze anzuvertrauen.

In der Dauerausstellung finden sich Objekte, die durch die lebhafte Vergangenheit Niederösterreichs führen – von steinzeitlichen Messern und Pfeilspitzen über Tonkrüge aus dem mittelalterlichen Hafenbereich von Krems und den Wiener Neustädter Schatz aus dem Spätmittelalter bis hin zu Reichsflaggen und Gebrauchsgegenständen aus der Nachkriegszeit und der Gegenwart. Dabei haben die Ausstellungsdesigner bewusst auf eine lineare Aufbereitung der Historie verzichtet und die Sammlung stattdessen in Themengebiete gegliedert. In inhaltlichen Segmenten wie Stadtentwicklung, Bildung, Religion, Arbeitswelt, Verteidigung und Herrscher finden sich jeweils Objekte aus den verschiedensten Epochen – großzügig bedacht wird auch das schwarze Kapitel der NS-Zeit und des Vernichtungskriegs.

Während in der Dauerausstellung der historische Bogen weit gespannt wird, können Besucher in der Schwerpunktausstellung „Die umkämpfte Republik: Österreich 1918-1938“ auf 600 Quadratmetern 20 Jahre Zwischenkriegszeit im Zeitraffer erleben. Anhand zahlreicher Dokumente und Propaganda-Materialien wird hier die politische Radikalisierung und das Spiel mit den Ängsten der Bevölkerung aufgezeigt. Zu finden ist hier auch das bislang im ÖVP-Klubsitzungssaal gehangene Bild des umstrittenen Ständestaat-Kanzlers Engelbert Dollfuß, das wegen des Parlamentumbaus ins Museum nach St. Pölten kam.
St. Pölten als Teil der NÖ Geschichte
Im Haus der Geschichte spielt St. Pölten nicht nur als Landeshauptstadt eine Rolle – auch haben einige Objekte aus Privatarchiven und vor allem aus dem Fundus Stadtmuseums Einzug in die Ausstellung gefunden. Während weder frühzeitliche noch mittelalterliche Funde etwa aus dem historisch bedeutsamen Friedhof am Domplatz ausgestellt sind, gibt es einige stumme Zeitzeugen aus dem 19. und 20. Jahrhundert: Einen Teller aus der St. Pöltner Steingutfabrik aus dem frühen 19. Jahrhundert gibt es ebenso zu sehen wie das Lilienporzellan „Daisy“ aus dem Wilhelmsburger Geschirrmuseum und Kundmachungen aus dem Jahr 1945. Ein besonderes Dokument hat die St. Pöltnerin Hermine Wegscheider zur Verfügung gestellt: einen Einberufungsbefehl, der 1914 ihrem nach Brasilien ausgewanderten Onkel aus Inzersdorf nachgeschickt wurde.

Auch in der Schwerpunktausstellung ist eine private Leihgabe aus St. Pölten untergebracht: der Teddybär der St. Pöltnerin Renate Rettinger. Zudem findet sich hier Ferdinand Andris Werk „Engel über den Gefallenen“ (siehe Bild oben), das Kunstexperten auf Andris Wirken als Kriegsmaler im Ersten Weltkrieg zurückführen. Darüber hinaus hat das Stadtmuseum zahlreiche Objekte und Dokumente bereitgestellt – wie etwa eine Fahne der Sozialdemokraten aus der Zwischenkriegszeit, Karten von Zwangsarbeitern und die Schilder „Kraft durch Freude“ und „Ortsgruppe St. Pölten-Schubertstraße“. Letzteres Email-Schild stammt von einer NS-Splittergruppe aus der heutigen Dr.-Theodor-Körner-Straße.
Besonderes Augenmerk legen die Macher des Hauses der Geschichte darauf, dass Historie kein abgeschlossenes Buch ist, sondern weiterlebt. „Geschichte ist von Natur aus offen“, erläutert der wissenschaftliche Leiter Stefan Karner. „Jede Zeit, jede Generation schreibt die Geschichte neu.“ Vor fünf Jahren etwa hätte das Kuratorenteam die Migration niemals so in den Vordergrund gestellt, wie es nun bei der Dauerausstellung der Fall ist. „Für uns war klar, dass wir Migration im historischen Kontext stärker aufgreifen.“
Module werden alle fünf Jahre ausgetauscht
Niederschlag wird dieser Grundgedanke in der ständigen Erweiterung und Ergänzung, aber auch im Austausch einzelner Objekte finden. Während bei der Dauerausstellung alle fünf bis sechs Jahre einzelne Module ausgetauscht werden, wird es voraussichtlich alle zwei Jahre neue Schwerpunktausstellungen geben. „Wenn die aktuelle Schwerpunktausstellung endet, werden besondere Objekte natürlich in die Grundausstellung aufgenommen“, kündigt Armin Laussegger an.
Der Klangturm soll zudem in die Konzeption des Hauses der Geschichte miteinfließen, verrät Geschäftsführer Matthias Pacher an. „Er wird zurzeit saniert. Wir können uns Veranstaltungen und Sonderformate vorstellen, als Ergänzung zur Ausstellung hier im Haus.“