Fritz Weber: „Uns gehen die jungen Leute aus“

NÖN: Die Corona-Pandemie ist vorbei, heißt es. Ihr Haus musste vor drei Jahren geschlossen werden. Wie war das emotional für Sie?
Fritz Weber: Heute vor etwas mehr als drei Jahren war es unvorstellbar, dass eine Reha-Einrichtung pandemiebedingt gesetzlich geschlossen wird. In meiner Verantwortung muss man immer „was wäre wenn-Szenarien“ entwickeln, sich überlegen, was passieren könnte. Wir haben uns schon einige Zeit vor dem Lockdown mit Krisenszenarien beschäftigt, weil man kann ja Herz-Kreislauf-Patienten nicht einfach auf die Straße schicken. Diese Menschen brauchen besondere Betreuung und Medikamente, da sie ja krank sind. Einige von ihnen haben zuhause keine Betreuung bzw. müssen medizinisch versorgt werden.
Wie lange hat es gedauert, bis Ihre Patienten die Reha-Anstalt verlassen konnten, als Ihr Haus gesperrt wurde?
Weber: Wir konnten die Patienten damals geordnet innerhalb von drei Tagen entlassen. Es war ein behördlich vorgegebener Termin, bis zu dem die Entlassung der Patienten zu erfolgen hatte. Wir hatten damals noch 200 Patienten im Haus. Wir haben damals auch nicht mehr die volle Patientenzahl aufgenommen, weil auch die Patienten durch die Berichterstattung in den Medien schon Angst vor Ansteckung hatten. Heute schmunzelt man ja über viele Überlegungen, aber wir wussten ja alle nicht, was dieses Virus mit uns macht. Es waren natürlich die Sorge und Angst da, dass jemand das Virus bei uns einschleppen könnte – wir haben ja Patienten aus ganz Österreich hier.
Was hat sich durch die Pandemie verändert, bei Ihnen persönlich und im Reha-Zentrum?
Weber: Ich sage nach wie vor, wir wissen aktuell noch gar nicht, was Corona aus uns gemacht hat, nicht nur gesundheitlich, sondern auch gesellschaftlich. Der Trend zu Kurzarbeit, Homeoffice und die Belastbarkeit der Menschen haben sich verändert. Viele Menschen haben gesehen, wie das Leben auch anders sein kann, wenn man nur Teilzeit arbeitet. Da hat es schon gewaltige Veränderungen gegeben. Wir sehen das sogar bei Berufseinsteigern, die Teilzeit anfragen. Wir haben einen absoluten Trend zur Teilzeitarbeit. Wir beschäftigen 230 Mitarbeiter an Köpfen, das entspricht aber einem Vollzeitäquivalent von 170 Mitarbeitern. Dabei sind im Vergleich zur Akutversorgung unsere Tätigkeiten hier attraktiver, weil sehr planbar, und die Mitarbeiter haben geregelte Dienstzeiten, die auch eingehalten werden können.
Haben Sie durch die Pandemie auch Mitarbeiter verloren?
Weber: Wir haben in dieser Zeit keine Mitarbeiter abgebaut, wir wollten sie halten – aber es hat natürlich auch in der Zeit Abgänge gegeben. Wir wussten zu dem damaligen Zeitpunkt nicht, wie es weitergehen würde. Sperren wir jemals wieder auf? Diese Zeit war extrem fordernd, weil es keine Perspektive gab. Wir mussten das Haus in Betrieb halten, der bürokratische Aufwand für die Kurzarbeit war enorm, zudem hatten wir einen Journaldienst für organisatorische Fragen. Wir waren ständig mit Patienten, die gebucht hatten, und mit unseren Mitarbeitern in Kontakt. Sie fragten, wie es weitergeht, die Mitarbeiter hatten Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren.
Dazu galt es später, als wir wieder aufsperren und Patienten aufnehmen durften, all die gesetzlichen Auflagen zu erfüllen. Wir mussten Abläufe umstellen, die maximale Menschenanzahl in Räumen beachten. Wir haben damals z.B. Zimmerservice für alle eingeführt, weil sich die Patienten nicht im Restaurant treffen durften. Natürlich haben wir auch die ohnehin schon hohen Hygienestandards angepasst, viele gelten heute noch.
Ist die Scheu vor Nähe aktuell noch vorhanden?
Weber: Distanz ist ein großes Thema, es hat uns verändert. Ich möchte heute auch nicht dicht gedrängt in einer U-Bahn stehen oder dicht gedrängt am Skilift anstehen. Wir hatten es hier am Land gut, wir konnten uns frei bewegen. Wir werden es auch bei einem Blackout am Land leichter haben.
Stichwort Blackout: Können Sie auf Erfahrungen aus der Pandemie aufbauen? Worauf müssen Sie besonders achten?
Weber: Wir als Unternehmen müssen das Risiko eines Blackouts gut durchdenken, auch wenn es vielleicht gar nicht kommt. Ungewiss ist auch, was in diesem Ukraine-Krieg noch passiert. Cyberkriminalität ist ein modernes Kriegsmittel, im Krieg gegen Europa könnte unsere Strom-Infrastruktur zerstört werden. Wir haben im Herz-Kreislauf-Zentrum Groß Gerungs Notstromaggregate mit Dieselanlagen, die mehrere Tage laufen.
Wie ist das Szenario gedacht? Wie lange reicht der Strom?
Weber: Das ist natürlich abhängig davon, wie viele Menschen wir betreuen müssen. Es könnte sein, dass sie im Blackout zu ihren Familien müssen oder wollen. Das wirklich Spannende ist für uns: Wie kommen die Mitarbeiter ins Haus? Wie können wir die Infrastruktur aufrecht erhalten? Da arbeiten wir gerade an verschiedenen Notfallkonzepten in Abstimmung mit den Blaulichtorganisationen und den Behörden. Wir bereiten uns auf verschiedene Szenarien vor, aber die größte Herausforderung wird die Kommunikation sein. Dafür suchen wir gerade Lösungen.
Ihr Haus ist aktuell nicht voll ausgelastet. Woran liegt das?
Weber: Wir dürften bis zu 250 Menschen aufnehmen, aber derzeit sind wir nicht voll. Das ist diesmal nicht aufgrund von Covid, sondern wir haben nicht ausreichend Mitarbeiter. In allen Bereichen suchen wir Mitarbeiter, besonders Ärzte werden benötigt. Zu uns pendeln jetzt schon Mitarbeiter aus Linz und Wien, die in unseren Wohnstudios wohnen, wenn sie bei uns Dienst haben.
Reichen die Ausbildungsstätten in der Region nicht aus, um genügend medizinisches Personal auszubilden?
Weber: Im Waldviertel gab es immer schon eine quantitative Abwanderung, jetzt haben wir qualitative Abwanderung. Die meisten, die für eine Ausbildung weggehen, kommen nicht mehr zurück – bis auf einige wenige. Wenn es uns nicht gelingt, dislozierte Ausbildungsstätten zu kriegen, dann wird es noch schwieriger. Ein Beispiel: Früher konnte ein Mädchen mit 17 Jahren in der Krankenpflegeschule Zwettl die Ausbildung zur diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin machen – heute braucht sie Matura, ein FH-Studium und sie muss zumindest nach Krems, um diese höchste diplomierte Ausbildung zu machen. Dabei kann sie täglich zwei Stunden fahren oder gleich nach Krems ziehen. Wenn wir die Region stärken wollen, dann müssen wir hier vor Ort entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten anbieten. Denn: Uns gehen die jungen Leute aus.
Pandemie, Blackout, Mitarbeitermangel: Was ist Ihre größte Sorge?
Weber: Mitarbeiter zu bekommen, ist derzeit eine der größten Herausforderungen, die wir haben. Früher musste man sich eher drum Sorgen machen, ob wir genügend Patienten bekommen, wie wir ausgelastet sein können – heute liegt es am Mitarbeitermangel, dass wir nicht voll ausgelastet sein können. Das Virus wird uns weiterhin begleiten, möglicherweise wird eine Mutation oder ein anderes Virus auftauchen, aber wir werden lernen müssen, damit zu leben. Wir haben in der Vergangenheit auch gelernt, mit Krisensituationen umzugehen. Dass es uns heute gut geht, dafür haben wir vor Jahren die Weichen gestellt, jetzt müssen wir die Weichen für die nächsten Jahre stellen.